Ruhe am Sielwall

■ „Chaos heißt nicht in dem Sinne Chaos, sondern ist der Name ihres Festes.“

Gestern rund um das Sielwall eck: Dort, wo am kommenden Wochenende die Chaos-Tage stattfinden sollen, ist es ruhig. Die Polizeiaktionen der letzten Tage scheinen die Szene ordentlich verunsichert zu haben. Punks sind auf der Straße kaum noch zu sehen. Doch von der Angst vor dem drohenden Chaos ist weder bei den Viertel-BewohnerInnen noch bei den LadenbesitzerInnen im Oster- und Steintor etwas spürbar.

Drei Berliner Punks sind nur auf der Durchreise. Sie kamen aus Hannover, dort wurden sie vertrieben. Nun sind sie wieder auf dem Weg dorthin. Und sie haben schon ihre ersten Erfahrungen mit der Bremer Polizei gemacht. Mit derlieferten sie sich wilde Verfolgungsjagden zu Fahrrad. „Die Bullen hatten wir hier am Arsch, wir sind aber geflüchtet“, sagt Nancy, die eigentlich aus Brandenburg kommt. Von den Bremer KollegInnen halten die Hauptstadt-Punks eher wenig: „Die eigenen Leute scheißen sich ein, ich weiß gar nicht, wofür ich hergekommen bin. Hier machen die eh nichts.“ Aber Nancy hat einen guten Rat: „Die sollen sich nicht unterkriegen lassen!“ Und sie reckt die Faust gen Himmel.

Nancy berichtet außerdem, daß am Dienstag abend zehn junge Wilde aus Erfurt von der Polizei abgefangen worden seien. „Die kommen dann in Sachsen in den Knast und bleiben dort, bis die Chaostage vorbei sind.“ Nancy ist wie viele Punks entrüstet, daß Skinheads, denen trotz des Verbots des Rudolf-Heß-Gedenkmarsches Aktionen zugetraut werden, ungehindert ein- und ausfahren können, während selbst Punks aus umliegenden Orten wie Weyhe nach Hause geschickt werden. „Wir fahren nochmal nach Hannover, vielleicht kommen wir wieder. Alles offen.“

Die Menschen auf der Straße und rund ums Eck sind ganz gelassen. Michael Horter, 24, spart nicht mit Kritik an den polizeilichen Maßnahmen. Er findet das Polizeiaufgebot „für ein paar Punks einfach lächerlich“. Kompromißvorschläge von Bürgerinitiativen oder Punks selber seien ignoriert worden, „dies provoziert natürlich um so mehr. Ursprünglich wollte ich nicht nach Hannover fahren, aber durch diese harte Linie fühle ich mich auch angesprochen. Ich will mir sowas nicht gefallen lassen!“ Die Polizeisperren will er umgehen, indem er sich chic anzieht.

Almut Daasch ist Besitzerin des Bekleidungsgeschäfts „Rehme“ am Sielwalleck. Und da hat sie reichlich Erfahrungen mit der Punk-Szene. „Chaos heißt nicht in dem Sinne Chaos, sondern ist der Name ihres Festes“, sagt sie. „Das wissen die meisten Leute wahrscheinlich nicht und bekommen Angst.“ Almut Daasch hat guten Kontakt zu „ihren“ Punks und traut ihnen nichts Böses zu. Sie hat viel mehr Angst vor den Skinheads, die ebenfalls am nächsten Sonnabend erwartet werden. Die Rolläden an ihrem Geschäft wird sie auf jeden Fall herunterlassen, denn selbst „ihre“ Punks konnten ihr nicht versprechen, daß die Scheiben ganz bleiben.

Auch der Wasserpfeifenladen „Udopea“ will sich verrammeln. „Das machen wir Silvester auch so“, sagt der Mitarbeiter Rolf Neumann. Er hält die Polizeiaktion allerdings für „Schwachsinn. Das kostet soviel Geld, da hätte man besser ein Dixi-Klo und eine Bühne hinstellen sollen, und dann wäre die Sache noch eine Touristenattraktion gewesen“. Jacques Möbius arbeitet im Skate-Shop „Attitude“. Er befürchtet keine eingeworfenen Scheiben. Er findet die polizeilichen Maßnahmen „unverschämt“. Man könne nicht Menschen aufgrund der Äußerlichkeiten der Stadt verweisen.

Allerdings gibt es auch einige andere Stimmen: „Von dem Motto ,Stadt in Schutt und Asche' halte ich nichts“, sagt Retho Daasch, 25. „Ich habe Angst und Bedenken, daß etwas passiert. Das Image von Bremen ist sowieso schon so negativ“. Und Christa Schulz, Filialleiterin bei „Tenter's Backstube“ findet es deprimierend, daß die Chaos-Tage möglicherweise überhaupt stattfinden können, obwohl die Polizei so präsent ist. „Eigentlich habe ich nichts gegen Punks, sie sind nett. Aber daß die Krawalle machen wollen, finde ich beschissen! Ich finde es richtig, wenn die nach Hause geschickt werden.“

kg/J.G