piwik no script img

■ VorschlagArsenal (1): Hitchcocks „Frenzy“

Der Täter kehre an den Ort seines Verbrechens zurück, heißt es. Es bedarf aber schon der Perfidie eines Alfred Hitchcock, um wie in „Frenzy“ (1972) einen Mörder im Kartoffelsack mit seinem bereits totenstarren Opfer ringen zu lassen, wobei er sein raffiniert geplantes Leichenversteck zunichte macht. „Frenzy“ war der letzte Film Hitchcocks und entstand wieder in England. Nach der Romanvorlage „Goodbye Piccadilly, Farewell Leicester Square“ von Artur la Bern zeigt er das London der späten Sechziger als Ort des Verfalls und sozialen Umbruchs in dreist-realistischen Genrebildern.

„Frenzy“ (Raserei, Wahnsinn) spielt in einer Atmosphäre ranziger Verklemmtheit, an Plätzen kommerziellen Austauschs – in Hotelzimmern, Bars, dem Großmarkt, am Hafen. Und während die Members of Parliament noch zweideutig über Abfall und Abwässer in der Themse schwadronieren, schwemmt der Fluß eine Frauenleiche an, ein weiteres Opfer des „necktie-stranglers“ (Krawattenwürgers). Was zuerst wie ein piefiger Edgar-Wallace-Streifen aussieht, wird zu einem Musterbeispiel szenischer Sparsamkeit und Wiederholung, gepaart mit groteskem Witz. Klaustrophobisch muß die Kamera dieselben Treppen und Gänge zurück, die sie gekommen ist. So entsteht ein Bild der Enge und des Eingesperrtseins, das der inneren Verfassung der Figuren entsprechen soll: eines als sadomasochistisch etikettierten Serienmörders im Gewand des Normalbürgers, eines zu Unrecht Verdächtigten und zweier alleinstehender Frauen, die zwischen Unabhängigkeit und Unterwürfigkeit schwanken.

Was auf den ersten Blick moralisierend wirken mag, ist es nicht, denn Gut und Böse sind in diesem Film nicht so verteilt, wie es dem Klischee entspricht. Verglichen mit früheren Filmen sind psychologische Motivsuche und Symbolik auf ein Minimum reduziert. So ist der Film, in dessen Mittelpunkt abstoßende Sexualmorde stehen, auch ein Film über Essen, verhinderten Genuß, Gier und die Absurdität der Küchenmoden. Selten wurden Nahrungsmittel mit soviel Raffinesse antikulinarisch ins Bild gesetzt. Selten wurde eine Kriminalgeschichte so unkriminalistisch erzählt. Gudrun Holz

Heute, 18.45 Uhr, Arsenal

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen