"Team USA" über alles

■ Olympia: NBC setzt auf Patriotismus pur und zeigt fast ausschließlich US-Athleten

„Bleiben Sie am Apparat, wir setzen unsere Berichterstattung von den Hundert-Jahr-Spielen in Kürze fort.“ Dies sind die Worte, die amerikanische FernsehzuschauerInnen dieser Tage am häufigsten vernehmen, wenn sie die Olympiade in Atlanta am Schirm verfolgen. Eine Überleitung zu den Werbespots, die zwar oft einfallsreich inszeniert, aber nach dem zehnten Abspielen auch für den zähesten Sportfreund kaum mehr zu ertragen sind. Doch beim Fernsehsender NBC, der sich die Übertragungsrechte für nahezu eine halbe Milliarde Dollar gesichert hat und der für 30 Sekunden Werbung zwischen 300.000 und 400.000 Dollar kassiert, sind die Werbeeinnahmen nun mal wichtiger als eine umfassende oder objektive Berichterstattung von den Sportereignissen.

So werden den ZuschauerInnen in den Oststaaten die Höhepunkte bis zur Prime time nach acht Uhr vorenthalten: Damit möglichst viele Werbespots untergebracht werden können, erfahren sie die Ergebnisse oft erst um Mitternacht. Aber auch dann nicht alle. Im wesentlichen beschränkt sich NBC auf Disziplinen von hohem Publikumsinteresse, wie etwa die Turnwettbewerbe und die Entscheidungen, bei denen amerikanische Athleten auf dem obersten Treppchen erwartet werden. Ausländische Sportler dienen allenfalls als Staffage für die Präsentation der nationalen Helden. Bei den Schwimmwettkämpfen zum Beispiel konzentrierte sich der Sender fast ausschließlich darauf, zu zeigen, wie amerikanische Athleten ihre Gegner besiegten. War Gold erreicht, scherten sich die Reporter nicht einmal mehr darum, mitzuteilen, wer Silber oder Bronze errungen hatte.

Bezeichnend sind die Übertragungen der Siegerehrungen, wobei „Sieger“ durchaus im Singular zu verstehen ist. Die Kamera ist ganz und gar auf den amerikanischen Goldmedaillengewinner fixiert. Dazu wird die amerikanische Flagge eingeblendet oder überblendet, die ausländischen Edelmetallgewinner werden meistens nicht einmal gezeigt, geschweige denn die Embleme ihrer Nationen. Respekt für den Zweiten oder Dritten, die loser, gibt es kaum.

Symptomatisch auch die Siegerehrung im 800-Meter-Freistilschwimmen der Damen: Die Kamera ist die ganze Zeit auf das Gesicht der Ersten, der Amerikanerin Brooke Bennett, gerichtet. Dagmar Hase als Silbermedaillengewinnerin kommt nur ganz am Ende ins Blickfeld, als die Goldmedaillengewinnerin sie und die Dritte mit auf das Siegerpodest hievt.

Was gezeigt wird, sind die winner – nichts anderes zählt. Für Zweite und Dritte ist die Sendezeit zu kostbar. Das schließt zuweilen selbst amerikanische Sportler ein. So verschwendete der Reporter kein Wort des Lobes für die Bronzemedaillengewinnerin im 100- Meter-Butterfly, Angel Martino. Das Interesse galt ausschließlich der Siegerin, Amy van Dyken. Passend dazu tönt es im Werbespot von Nike: „Man gewinnt nicht Silber, man verliert Gold.“

„Wenn du am Ziel nicht zusammenbrichst, hättest du schneller laufen können“, lautet ein anderer Claim der Sportartikelfirma. Wer verliert, wird fallengelassen, ist allenfalls noch als tragische Person für die Medien von Interesse. Für diejenigen, denen es nicht nur darum geht, die nationalen Sieger, sondern auch die besten Athleten aus aller Welt zu bestaunen, ist diese Art von patriotischer Heldenporträtierung höchst ärgerlich. So hatte etwa die amerikanische Männerturnriege nur eine geringe Chance auf Bronze im Mannschaftszwölfkampf, während die Russen und Chinesen nahezu unangefochten um Gold und Silber stritten. Trotzdem wurde die amerikanische Mannschaft auf ihrem Weg zum fünften Platz vollständig begleitet, während die Leistungen der weltbesten Turner den ZuschauerInnen weitgehend vorenthalten blieben.

Mittlerweile regt sich auch in der Presse Unmut über diese „Spiele für die Dummen“, bei denen NBC den Fernsehzuschauern weiszumachen versucht, die USA seien das einzige Teilnehmerland der Olympiade. Das Nachrichtenmagazin Newsweek wirft NBC vor, den Sport in „konservierte blöde Unterhaltung“ verwandelt zu haben. Time spricht von den „Soap- opera-Spielen“, bei denen die persönlichen Geschichten der Athleten aufgebläht werden, um landesweit die Tränendrüsen der ZuschauerInnen zu aktivieren.

In der letzten Sonntagsausgabe der New York Times wird der ungarische Journalist Richard Hirschler zitiert: „Ich war frustriert, als ich NBC sah. Es erinnert mich an die Zeit der kontrollierten Presse in Ungarn. Warum werden wir daran gehindert, die wirklichen Ereignisse zu sehen – den Wettkampf zwischen den besten Sportlern der Welt?“

Der Sportkolumnist des Boston Globe, Dan Shaugnessy, äußerte gar seine unverhohlene Freude darüber, daß das Team USA gerade in der amerikanischsten aller Sportarten, dem Baseball, verlor, noch dazu gegen die Kubaner. Wenigstens einmal habe der olympische Geist gegenüber dem puren Kommerz die Oberhand behalten. Manfred H. Wiegandt