Heimliches Häuslebauen im Westjordanland

■ Israels neuer Regierungschef Netanjahu signalisiert den Siedlern seine Bereitschaft, neue Siedlungen zu bauen. Nur Aufsehen will er damit nicht erregen

Tel Aviv (taz) – Israels neuer Regierungschef Benjamin Netanjahu plant offensichtlich, möglichst still und heimlich neue jüdische Siedlungen im Westjordanland zu bauen. „Zum Thema, was wir bauen werden, möchte ich keine vorzeitigen Schlagzeilen in den Zeitungen sehen. Die Schlagzeilen sollen erst erscheinen, wenn es vollendete Tatsachen zu berichten gibt“, erklärte er am Montag einer Delegation von Siedlern.

Gefragt hatten ihn die Siedler nach einer offiziellen Aufhebung des 1992 von der Rabin-PeresRegierung beschlossenen Baustopps für Siedlungen in den besetzten Gebieten. Des weiteren wollten sie wissen, wann mit dem Bau neuer Siedlungen zu rechnen sei.

Die Siedlerführer berichteten nach der Unterredung, innerhalb von zwei Wochen werde ihnen die Regierung die Erlaubnis erteilen, in Tausende bereits fertiggebaute, aber von der letzten Regierung „eingefrorene“ Wohnungen einzuziehen. Aber die „im Prinzip legitimen Vorschläge“ für die Errichtung neuer Siedlungen müßten erst von der Regierung erörtert werden. Alex Lubozki, ein prominenter Siedler und für die Partei des „dritten Wegs“ in der Knesset, meinte nach dem Gespräch, die Siedler sollten umgehend die Gelegenheit ausnutzen und im Westjordanland vollendete Tatsachen schaffen.

Die israelische Friedensbewegung Peace Now beschuldigte Netanjahu unterdessen, „den Friedensprozeß zwischen Israel und den Palästinensern mit seinen Siedlungsprojekten zerstören zu wollen“. Er versuche zwar, seine Kolonisierungsabsichten zu maskieren, aber „die einzelnen Ministerien koordinieren bereits ihre Pläne zur Erweiterung der Siedlungen in den besetzten Gebieten“.

Der neue Minister für Infrastruktur, der Rechtsaußen Ariel Scharon, beabsichtigt jetzt, seinen alten Plan zum Bau einer Reihe neuer großer jüdischer Siedlungen auf beiden Seiten der ehemaligen israelisch-jordanischen Waffenstillstandslinie zu verwirklichen.

Die erste Siedlung dieser Art soll demnächst in der Nähe des Kibuz Bet Govrin, unweit von Hebron im Westjordanland, entstehen. Auf einer Pressekonferenz gab Scharon gestern bekannt, die neue Siedlung solle der Sicherheit dienen, zugleich habe sie aber auch ökologische Aufgaben: „Was ist nützlicher als ein grüner Gürtel im Hinterland der Küstenebene, die sich in einen Betonwall verwandelt“, erklärte der ehemalige Verteidigungsminister im Libanonkrieg, dessen Liebe zur Natur in der Öffentlichkeit bisher noch nicht so recht zum Ausdruck gekommen war.

Ungefähr 200 Millionen Schekel (100 Millionen Mark) soll der Bau von zwei neuen israelischen Straßen im Westjordanland kosten. Es handelt sich um eine breite Verbindungsstraße, welche die jüdischen Vorstädte im Norden Jerusalems mit den Siedlungen des Westjordanlandes verbindet, und eine strategisch wichtige Straße zwischen der israelischen Küstenebene und dem Jordantal.

Scharon sieht sich jetzt als Minister für Infrastruktur mächtiger und einflußreicher denn je. Sein Ministerium entscheidet in allen Boden-, Wasser-, Transport-, Energie- und Entwicklungsfragen sowohl in Israel als auch in den besetzten Gebieten. Unter anderem ist Scharon jetzt Herr der Bodenbehörde. Sie verwaltet mehr als neunzig Prozent des zu Israel gehörenden Landes.

Der Vorsitzende der Kolonisierungsabteilung der für die Einwanderung von Juden nach Israel zuständigen Jewish Agency, Sally Meridor, lehnt die Einwände der Arbeitspartei und Peace Now gegen die Pläne für eine erneute Siedlertätitgkeit mit dem Argument ab, trotz des angeblichen Baustopps der letzten vier Jahre sei in dem Zeitraum eine fast 50prozentige Zunahme der Zahl der Siedler im Westjordanland zu verzeichnen gewesen.

Derzeit leben ungefähr 150.000 israelische Siedler im Westjordanland. Nach den Wahlen im Juni 1992, als die Arbeitspartei an die Macht kam, gab es dort insgesamt gerade einmal etwas mehr als 100.000 Siedler. Amos Wollin