Von Europa umzingelt

■ Sachsen kämpft um Euro-Subventionen

Die Menschen in den fünf ostdeutschen Bundesländern fühlen: Alle sind gegen uns. Je höher, desto doller. Der Westen im ganzen natürlich, Bonn und Brüssel im besonderen. Je abstrakter die Institution, desto größer das Ungemach der Ostler. Denn die Bonner Politiker streichen ihnen den Solidaritätszuschlag und die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Brüssel stellt sich wie ein knauseriger Vater an, wenn es um Subventionen geht. Der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer hat die Stimmung seiner Landsleute treffend bezeichnet: Es herrsche eine „Eurodiktatur“, fühlen die Sachsen.

Dabei vergessen sie, daß bereits Milliarden aus Bonner und Brüsseler Subventionsschatullen in ihre Bundesländer geflossen sind. Ohne Bonn und Brüssel hätten sie weiterhin einen wirtschaftlichen Standard auf dem Niveau der sechziger Jahren im Westen, mit ökologischen Schäden, wie sie der Westen hoffentlich auch in zehn Jahren nicht erreicht. Brüssel ist durchaus großzügig, wenn es an die Genehmigung von deutschen Subventionen geht. Dow Chemical im Chemiedreieck Bitterfeld bekommt zwei Milliarden Mark staatliche Beihilfen, das amerikanische Halbleiterunternehmen AMD subventioniert der Freistaat Sachsen mit 800 Millionen Mark. Von den weiteren genehmigten und gezahlten Milliarden für die Werft-, Stahl- und Chemie-Industrie ganz zu schweigen.

Die Brüsseler Politik sei schädlich für den europäischen Einigungsprozeß, sagte Kajo Schommer gestern. Dabei verschärfen gerade er und Ministerpräsident Kurt Biendenkopf die Ressentiments und Aggressionen der Ostler gegen Europa. Biedenkopf hat damit den Buhmann für seine verfehlte Industriepolitik gefunden. Brüssel hat Schuld, wenn er die wenigen sicheren Unternehmensansiedlungen in Sachsen wie VW, Siemens und AMD nicht mehr schützen kann. Kleine oder mittlere Betriebe läßt Biedenkopf eh seit Jahren absacken. Mit der dreisten Entscheidung, die Subventionen trotz EU-Verbot an VW auszuzahlen, demonstriert König Kurt seinen Sachsen zugleich Härte. Und bleibt doch ganz historisch. Sein weitläufiger Vorgänger, der sächsische König, sagte 1918 den Revoluzzern, die ihn stürzten: „Dann macht doch euren Dreck alleene“. Kurt Biedenkopf macht seine Politik alleene, ohne Europa. Ulrike Fokken