: Rückkehr eines wahren Genies
■ Hermann Schiffs 1848 erschienener Ghetto-Roman „Schief-Levinche“ wird wieder aufgelegt
„In Hamburg mußt du Schiff sein.“ Dieses knappe Verdikt benennt auf das kürzeste, worauf es in der Hansestadt ankommt, um von den lokalen Größen, den Pfeffersäcken und ihrem politischen Anhang, Beachtung zu erfahren. Schiff sein, das mag noch angehen. Aber auch so zu heißen, war für den am 23. April 1801 in Hamburg geborenen David Bär Schiff kein Glücksversprechen.
Auch nicht, daß er – aufgewachsen in einem assimilierten jüdischen Elternhaus, in dem er „nie ein hebräisches Gebet gesagt“ hatte – sich 1841 taufen ließ. Und selbst die Tatsache, daß er ein Vetter Heinrich Heines gewesen ist und dieser seine Werke lobte, half nur begrenzt. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts erschienen in Hamburger Zeitungen Artikel zu Hermann Schiff mit Überschriften wie „Ein verbummeltes Genie“ oder „Ein vergessener Hamburger Literat“. Wer war nun dieser so früh dem Vergessen anheimgefallene Autor?
Hermann Schiff, Sohn einer reichen Hamburger Kaufmannsfamilie, besuchte das Johanneum. Er studierte – wie Heine – Jura, promovierte 1825 in Jena zum Dr. phil. Von dieser Zeit an versuchte Schiff, als freier Schriftsteller zu leben. In Leipzig begründete er mit seinem Freund Wilhelm Bernhardi die Monatsschrift Der Dichterspiegel. In Berlin, wo er von 1830 bis 1835 lebte, veröffentlichte er in den literarischen Zeitschriften Gesellschafter sowie Der Freimütige. Er schrieb Novellen und Romane wie Hoellenbreughel (1826) oder Pumpauf und Pumprich (1826). 1831 übersetzte er die Lebensbilder von Honoré de Balzac – weniger eine Übersetzung denn das Erscheinen eigener Novellen mittels eines berühmten Pseudonyms.
1835 verließ Schiff Berlin und kehrte nach Hamburg zurück. Allen, die sich mit seinem Leben beschäftigten, blieb dieser Wechsel ein Rätsel. Schon 1917, in einem Artikel zu seinem 50. Todestag, hieß es: „Hamburg war damals keineswegs der Ort, um von der Feder leben zu können, wenn man nicht durch irgend eine Stellung einen guten Hinterhalt hatte.“
Schiffs persönliche wie familiäre Verhältnisse waren alles andere als geordnet. Eine schon am Tag der Hochzeit gescheiterte Heirat mit einer Christin und wiederholte Auseinandersetzungen mit den Hamburger Behörden verhinderten, daß dieser „geniale Mensch“ sein Talent in Ruhe entfalten konnte. Immer wieder mußte er als Musiker, Fechtmeister, Ballettänzer, Notenschreiber, Gelegenheitsdichter arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Alle äußere Not konnte ihn jedoch nicht zwingen, Konzessionen zu machen. Als „sogenannter Literat“ verdächtig und wegen „Preßvergehens“ in Untersuchungshaft genommen, wurde der geborene Hamburger per Senatsdekret vom Januar 1851 aus Hamburg verwiesen. Da dieser Beschluß jedoch nie umgesetzt wurde, lebte Schiff bis zu seinem Tod in der Hansestadt. Hier starb er, völlig verarmt, am 1. April 1867.
1848 erschien bei Hoffmann und Campe Schiffs Schief-Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirthschaft. Dieses Buch, „ein komischer Roman“, wie es im Untertitel hieß, verdeutlicht Schiffs Stellung zum Judentum. Wie es in einer zeitgenössischen Kritik hieß, behandelt das Buch „die unendlich tieftragische Geschichte eines jungen Mädchens, das zwischen Religionen hin und her geworfen wird, um schließlich an den Klippen beider elend zu zerscheitern“. Genauer: In einem polnischen Ghetto läßt sich Schief-Levinche, Bräutigam der schönen Rabbinertochter Mariamne (sic!), überreden, ein Bild von seiner Verlobten herstellen zu lassen. Dieses dient als Modell für das Marienbild über dem Hochaltar der Kathedrale. Der Konflikt um die „jüdische Madonna“ endet mit ihrem Tod.
Schiff besaß die Freiheit, als Pseudonym den Namen Isaak Bernays', des damals hoch angesehenen Oberrabbiners der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg, zu benutzen. Bernays, ein Vertreter der jüdischen Orthodoxie, war im „Hamburger Tempelstreit“ ein Gegner jeglicher Reformansätze im Judentum gewesen. Schiff, der in seinem Buch „den strenggläubigen Rabbinismus und das katholische Pfaffentum schonungslos“ mit beißender Ironie und galligem Humor aufs Korn nahm, konnte mit seinem Buch, zumindest in Hamburg, nur „jüdische Flüche“ ernten. Die geschichtlichen Ereignisse zur Zeit der ersten, aber auch der zweiten Auflage (1848 und 1919) taten ein übriges, daß dieses Buch nicht die gebührende Beachtung fand.
Wie schon im Falle des Dichters und Pädagogen Jakob Loewenberg wurde auch dieser literarische Schatz außerhalb Hamburgs gehoben. Renate Heuer, Leiterin des „Archivs Bibliographia Judaica“ in Frankfurt, hat dieses Buch herausgegeben und mit einem sachkundigen Nachwort versehen.
Heinrich Heine urteilte über Vetter Schiffs Roman: „Dieser dumme Kerl ist ein wahres Genie. Er hat mehr plastische Darstellungsgabe als alle neue Poeten zusammen, die jetzt in Deutschland leben. Sein Buch ist tiefsinnig, voll sprudelnden Witzes, wahrhaft künstlerisch und, was die Hauptsache ist – es hat den Verdienst, mich unendlich amüsiert zu haben.“ Wem das keine Empfehlung ist.
Wilfried Weinke
Isaak Bernays (= Hermann Schiff): „Schief-Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirthschaft“, Ein Ghetto-Roman, Campus-Verlag, Frankfurt/New York 1996, 212 Seiten, 39 Mark
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