Fürsorgliche Belagerung

■ Buntes raus, eine Stadt trägt Oliv: Bahnhof und Viertel unter Polizeibewachung

Der Bremer Hauptbahnhof gestern nachmittag: drei Mannschafts wagen des Bundesgrenzschutzes stehen auf dem Bahnhofsvorplatz, in der Halle und auf den Bahnsteigen patroullieren Gruppen Uniformierter. Mißtrauisch blicken sie einem Trupp kurzgeschorener junger Männer im Schlabberlook hinterher. Nein, keine Gefahr im Verzug, die schleppen Bundeswehr-Seesäcke. Wochenendfahrende Rekruten. Dürfen passieren. Die beiden Jungs mit den gefärbten Haaren, die gerade mit ihrem Bremer Kumpel die Tunnelröhre entlanggeschlurft kommen, haben weniger Glück. Kaum haben sie sich durch die Halle geschlängelt, werden sie auch schon von vier Polizisten abgefangen. Die Ausweise werden kontrolliert, der Kumpel darf weitergehen, der ist Bremer, aber sie müssen wieder zurück. Zurück nach Oldenburg, wo sie herkamen. In Bremen sind Menschen mit bunten Haaren in diesen Tagen unerwünscht. Bremen befindet sich im Ausnahmezustand. Bremen macht sich besenrein: Wer optisch aus der Norm fällt, wird angehalten, kontrolliert. Wer dazu noch nicht in Bremen wohnt, kann die Stadt gleich verlassen. Buntes raus, die Stadt trägt Oliv.

Ina Grünjes ist 25 Jahre alt und sieht ganz und gar nicht nach Punk aus. Sie hat am Donnerstag nachmittag mit einer Gruppe von rund 30 jungen Leuten friedlich am Osterdeich gesessen. Von denen sahen dann wieder einige nach Punk aus, und das wurde allen 30 zum Verhängnis. Gegen 17.30 fuhren drei Polizeitransporter vor und spuckten Uniformierte aus. Die kontrollierten die Ausweise der Jungen, notierten sämtliche Adressen und bedeuteten den Nicht-BremerInnen unmißverständlich, daß sie verduften sollten. Die Party wäre vorbei.

Es sind überall dieselben Geschichten. „Sechsmal bin ich gestern kontrolliert worden“, schimpft 'Zombie', eine Bremer Punkerin. „Sechsmal, und das nur auf der Strecke vom Osterdeich zum Ziegenmarkt.“ Keine Seltenheit in diesen Tagen. „Und dabei sind wir noch gut dran“, meint ihre Freundin Ina. „Andere werden gleich rausgeschmissen.“

Die Rausgeschmissenen, die Unerwünschten: Die müssen sich entweder eine Fahrkarte kaufen und verschwinden, oder sie werden gleich in einem Schwung aus der Stadt expediert. „Ich muß heute noch einen ganzen Bus voller Punks nach Lingen fahren“, erzählt ein Mittvierziger vom Schutz- und Service-Dienst der Bahn. Ein Bus mit Hannoveraner Punks sei schon abgefahren, bestimmt zur großen Freude der Polizei in Hannover. „Ich find's völlig schwachsinnig, was hier läuft.“

Unterdessen im Ostertor: Direkt vor dem Kino Cinema steht ein Polizei.wagen Aus einem Käseladen kommen zwei Jungs und ein Mädchen, das Mädchen hat rotgefärbte Haare, die Jungs Antifa-Aufnäher. Das scheint zu reichen. „Herkommen, den Ausweis“, werden sie von einem Polizisten angeherrscht. Das wirkt. „Aber wir wollten doch nur was einkaufen“, sagt das Mädchen verschüchtert. Eine Passantin mischt sich ein. Warum die Jugendlichen so angegangen würden, will sie wissen. „Sie sollten lieber nachdenken, statt uns zu kritisieren“, bekommt sie zur Antwort. „Und jetzt habe ich keine Lust mehr, mit Ihnen zu diskutieren.“ Und läßt die Frau einfach stehen. „Ich bin entsetzt“, sagt sie hinterher. „Die brauchen sich nicht zu wundern, wenn am Ende doch noch was passiert. Meine Kinder sind 15 und 17 Jahre alt. Die kochen. Im Viertel ist nur noch Totenstille.“

Unterdessen in der Birkenstraße, hinter dem Marriot-Hotel, direkt vor dem Dienstsitz der Sozialsenatorin: Ein Polizeiwagen braust heran, mehrere Polizisten stürmen mit Schlagstöcken bewehrt auf drei Jugendliche zu, dann entspannt sich die Lage, die Polizisten begleiten die Jugendlichen in Richtung Bahnhof.

Unterdessen am Martinianleger: Marcel und Rögi aus Gießen, zwei frischgewaschene und gutrasierte Punks, der eine 18, der andere 20 Jahre alt, sind gerade von einem Polizei-Bulli eingeholt worden und haben einen „Platzverweis“ kassiert. Wenn sie sich nochmal erwischen lassen, dann kämen sie „in Gewahrsam“, wird ihnen unmißverständlich gedroht. Völlig eingeschüchtert und frustriert stehen sie am Weserufer. Gerade mal vor einer Stunde sind sie per Autostopp angekommen, jetzt wollen sie irgendwie nach Hamburg weiter, vielleicht ist da ja Party. Wie sie das ohne Geld anstellen sollen, das wissen sie noch nicht so genau. Aber verstecken, so wie viele andere, nein, das wollen sie nicht. „Man muß für seine Ideale einstehen“, sagt Rögi. „Ich hab' so die Schnauze voll“, sagt Ute Herbst, Streetworkerin, die sich um die Bremer Punks kümmert. „Ich komme nicht mehr an meine Leute ran. Die haben sich alle verkrümelt und haben keinen Bock mehr auf nichts. Das sind von der Polizei gemachte Chaostage.“ J. G./kla