Doppelripp-Slips direkt ins Haus

■ Die Päckchen werden mit Hilfe von computergesteuerten Robotern zusammengestellt

Im Kreuzberger Otto-Bestell- Center geht es schon fast familiär zu: Vier Frauen sitzen bei einer Tasse Kaffee zusammen und blättern genüßlich im brandneuen Herbst/Winter-Katalog des Otto- Versands. Der nahezu 1.300 Seiten dicke Wälzer gleicht einem Miniaturkaufhaus. Hier gibt es fast alles, von der „lässigen Blusenjacke im Streifenmustermix“ über das „längs- und querelastische Stretch- Sakko“ bis zur „gemütlichen Eckbankgruppe aus Massivholz“. Ist die Ware ausgewählt, können die KundInnen die Bestellung direkt bei der Otto-Agenturleiterin abgeben und spätestens am übernächsten Tag dort abholen. Rund 80 Bestell-Center gibt es in Berlin.

Wer es noch bequemer haben will, kann auch zu Hause vom Sessel aus ordern. Das neue Bügeleisen mit der „Supergleitsohle“ wird dann mit dem firmeneigenen Lieferservicve direkt an die Haustür gebracht. Der Anruf von zu Hause – rund um die Uhr sind die Versandhäuser zu erreichen – oder die Bestellung per Brief und Fax ist immer noch die beliebteste Art, aus dem Katalog zu bestellen. Der in Hamburg ansässige Otto-Versand vertreibt jetzt zwar auch eine Bestell-CD-ROM mit einer Auflage von immerhin 180.000 Stück. Dann können Kunden vom Computer aus mit Hilfe eines Modems bestellen. Im Vergleich zum Katalog mit einer Auflage von 10 Millionen sind das jedoch Peanuts.

Der Einkauf mit T-Online, im Internet oder im Tele-Shop im Fernsehen bestimme bisher noch nicht den Markt, sagt ein Otto- Sprecher. Die neuen Medien seien lediglich eine „Ergänzung“ zum althergebrachten Katalog, um sich innovativ zu präsentieren und um neue jüngere Käuferschichten zu erreichen.

Die Bestellungen aufzunehmen und im Computer abzuspeichern ist für die Versandriesen – Quelle, Otto-Versand und Neckermann sind die Marktführer – der geringste Aufwand. Viel komplizierter und mit hohem technischem Aufwand verbunden ist der Weg der gewünschten „Teppich-Badegarnitur mit Safari-Design“ und des „schadstoffgeprüften Doppelripp- Slips“ ins traute Heim.

Nach der Bestellung drängt die Zeit. Und die Strecke ist weit: Die Ware muß aus Lagern in allen Teilen der Bundesrepublik nach Berlin gebracht werden, entweder mit einem privaten Lieferservice oder auf herkömmliche Weise – ein Riesengeschäft für die Deutsche Post AG. Lager der großen Versandhäuser gibt es fast gar keine in Berlin, obwohl die Stadt unter Branchenkennern als „Hochburg“ der Mail-Shopper gilt.

Neckermann hat, um seine 60.000 Artikel auch immer fristgerecht zu liefern, ein supermodernes Logistikzentrum in Heideloh bei Bitterfeld nahe an der Autobahn nach Berlin eröffnet. In den baumhohen Hochregalen lagern Tausende von Kartons mit Damenblusen und Kinderspielzeug. Computergesteuerte „Regalbedienungsgeräte“ verwalten das Sortiment just in time und ohne menschliche Hilfe. Nur für die individuelle Zusammenstellung der Päckchen werden noch Menschen gebraucht, alles andere funktioniert fast ausschließlich maschinell.

Im Kreuzberger Otto-Bestell- Center spürt man jedoch nichts von der hochkomplexen Logistik, die hinter jedem gelieferten Päckchen steckt. Hier zählt für die Kundinnen zwar auch, ob der langärmlige Body mit „fellähnlichem Effekt“ unbeschädigt und vollständig angekommen ist. Doch viel wichtiger ist, ob das neue Stück auch wirklich paßt. So gibt es im Bestell- Center eine Umkleidekabine, und unter den kritischen Blicken der Freundinnen werden dort öfters kleine Modeschauen improvisiert. Zum Beispiel mit Artikel 6373208, einer eleganten Bluse mit „aparten Legefalten und goldfarbenen Knöpfen“. Julia Naumann