Konsum total aus dem Katalog

■ Berlin ist Hauptstadt der Bestellwütigen. Anonym und ohne Ladenschlußzeiten wird von der modischen Damenbluse über Software bis zum Joghurtbereiter für Ökofreaks alles geordert

Eigentlich sind Kaufhäuser und Boutiquen schon lange überflüssig. Und viel zu anstrengend. Immer ist es voll, die VerkäuferInnen sind unfreundlich, und die Ladenschlußzeiten gibt es auch noch. Viel besser sind Kataloge. Die haben Tausende kleine bunte Bildchen, auf denen ganz genau erklärt wird, was nach Hause geliefert wird. Bestellen kann man immer. Egal ob nachts um drei oder zwei Tage vor Weihnachten. Nicht mal sprechen muß man. Alles ist völlig anonym. Und die Produktpalette ist fast unerschöpflich: modische Kleidung, Möbel, Haushaltsgeräte, aber auch Spezialangebote wie Tee, Bootszubehör, Staubsaugeraufsätze, Apfelgummibärchen oder Perücken.

Konsum total in kürzester Zeit suggerieren die Versandhäuser – und in Berlin wird besonders fleißig geordert. „Das Leben ist in Berlin schneller und hektischer als in anderen Großstädten, deshalb bestellen die Menschen mehr als anderswo über Katalog“, sagt ein Brancheninsider, der anonym bleiben möchte. So ist Deutschland insgesamt Weltmeister im Bestellen, noch vor den USA. Pro Kopf werden durchschnittlich 453 Mark jährlich per Katalog ausgegeben. Und die, die am meisten bestellen, entsprechen absolut dem Klischee: Fast 65 Prozent sind Frauen in allen Altersschichten, ergab eine Studie der Bauer-Verlagsgruppe. Sie interessieren sich besonders für Damenoberkleidung, Miederwaren und Kinderspielzeug. Sie fertigen in der Freizeit bevorzugt selbst Handarbeiten oder sind sehr modebewußt.

Das bestätigt auch Doris Winkler, die in einem Otto-Bestellcenter in Karlshorst arbeitet: „Unsere Kundin ist eben Otto Normalverbraucher.“ Durchschnittliches Familieneinkommen: höchstens 3.000 Mark netto. Paare mit mehreren Kindern, oft auch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ordern bevorzugt. Ehefrauen würden wie vor dreißig Jahren für den Mann die passende Krawatte im Katalog aussuchen, Männer selbst orderten nur selten. Manche Paare bestellten, so eine andere Otto- Mitarbeiterin, ihre komplette Garderobe ausschließlich im Katalog.

Doch auch diejenigen, die angeblich niemals bei Otto oder Neckermann kaufen würden, die mit Jürgen Klinsmann bedruckte Bettwäsche „spießig“ finden, auch die alternative Szene ordert fleißig – aus Spezialkatalogen aus Umweltpapier. Zum Beispiel „Hanf- Kleidung aus dem Goldenen Dreieck“ im Norden Thailands, „ökologische Badesalze“ oder „Naturschminke im Metallkasten“. Trotzdem ist es vielen peinlich, denn aus Katalogen bestellen gilt als Inbegriff der immer verfügbaren Konsumwelt.

So lesen manche die Heftchen auf dem Klo, bestellen aber „fast nie etwas“. Andere rechtfertigen den Neuerwerb des völlig überflüssigen „Joghurtbereiters“ aus dem Waschbär-Katalog mit einer neuen Diät. Nur die wenigsten begründen den Kauf per Katalog pragmatisch: weil es eben bestimmte Software, Bücher oder andere Artikel nur per Mail-Shopping gibt. Unterschiede im Bestellverhalten zwischen dem Ost- und dem Westteil gibt es einer Umfrage unter den großen Versandhäusern zufolge keine. In beiden Teilen der Stadt ist die Ratenzahlung beliebt. Die täuscht einen billigen Einkauf vor, saftige Zinszahlungen sind jedoch die Folge. So warnt die Verbraucherzentrale regelmäßig vor unvorsichtigem Mail- Shopping.

Doch da sind noch diejenigen, denen die fetten Wälzer von Otto oder Quelle nicht mehr ausreichen, denen umweltbewußte Versandhäuser nicht alles bieten. Für Katalog-Abhängige gibt es seit einigen Jahren einen Anbieter, der ständig über 300 unterschiedlichste Kataloge für seine KundInnen bereithält. Zentral, quasi wie in einer Bibliothek, können sie auswählen und über den Zwischenhändler bestellen. Die Agentur boomt. Die KlientInnen kommen ausschließlich über Mundpropaganda, Werbung gibt es keine. Über 2.500 BerlinerInnen ordern hier regelmäßig. Julia Naumann