Ein wunderlich Ding von Lehrerin

■ Die Arbeit der Künstlerin Lili Fischer als Dozentin gibt es jetzt in Buchform

Mit Kräutern und Staub, mit Geschichte und Geschichten animiert Lili Fischer erfolgreich Geister, Politiker und Museumsbesucher. Die Hamburgerin ist als Künstlerin ziemlich erfolgreich, wer je die Energie erlebte, mit der sie ihre Performances in erlauchten Rathausversammlungen oder düsteren Ausstellungskellern durchführt, wird sie so schnell nicht vergessen.

Bei dem Hexenimage ihrer energiegeladenen, komplexen Aktionen denkt man kaum daran, daß Lili Fischer promovierte Professorin ist und in Münster sogar stellvertretende Rektorin der Akademie. Die ungewöhnliche Praxis ihrer Lehre ist jetzt in Buchform dokumentiert.

Gleich bei welchem speziellen Thema, der Ansatz von Lili Fischer ist immer ganzheitlich und obwohl unkonventionell, ganz systematisch. Geht es in einem Projekt um Pflanzen, wird erst einmal mit zeremoniellem Samensetzen begonnen, eine Analogie zur künstlerischen Setzung. Dann folgt das Sammeln in freier Natur, das Erfassen und Einordnen der Erscheinung der Fundsachen in Zeichnung und Farbe, dann das Verwenden des Pflanzenmaterials in Färben, Riechen und Schmecken, in Salbe und Saft. Und am Ende stehen die Praxis der Präsentation und der Vermittlung, so werden Passanten nach ihren Geruchseindrücken befragt. Die Ergebnisnotate lesen sich wie beiläufige Soziogramme: „schlecht gewürzter Salat, Reistopf, Wiese im Sommer, faul, unangenehm, Italien“ lauten etwa Assoziationen zu Knoblauchpuder in Rotweinessig.

Die dynamischen Unterrichtsprozesse beziehen den Körper und seine Gestik genauso ein, wie die Verhaltensvorgabe durch Kleidung. Im imitierenden Nachvollzug historischer Verhaltensweisen wird das Verständnis vom Kopf auf die Füße gestellt und erlebbar gemacht, gleich ob im Freilichtmuseum oder in der Klasse. „In meiner Akademiezeit in Hamburg wurden Studentinnen, die nicht im Stil des Lehrers malten, noch gerügt und weinten dann hinter ihrer Staffelei“, erinnert sich Lili Fischer und setzt deshalb neben individueller Kreativität auf gemeinsame Arbeit.

Das reichillustrierte Protokoll der Entstehung kollektiver Gedanken in einer Arbeitsweise, die ethnologischer Feldforschung ähnelt, ist kein trockener didaktischer Leitfaden, eher selbst ein Stück künstlerischer Feldforschung. Natürlich hat Lili Fischer viele ihrer Methoden nicht neu erfunden. So verweist sie auf Johannes Itten am Bauhaus, Rudolf Steiner und Joseph Beuys, auf die Reformschulen des Jahrhundertbeginns oder angesichts von Techno-Raves auf spätmittelalterliche Ekstase: „Da erhob sich ein wunderlich Ding auf Erden und sonderlich in teutschen Landen ... also daß Leut anhuben zu danzen und zu rasen und danzeten auf einer Stätt ein halben Tag...“,steht in der Limburger Chronik von 1374.

Es fällt leicht und macht Lust, die vorgestellten Methoden auf eigenes Herangehen an die Welt zu übertragen. Und es keimt die vage Hoffnung, daß bei soviel sinnlicher Erkenntnisarbeit spätere Lehrer inspirierender werden, als man sie in trüber Erinnerung hat.

Hajo Schiff

„Primäre Ideen – Hand- und Fußarbeiten aus der Kunstakademie Münster“, Lindinger + Schmidt, Regensburg, 144 S., 25 Mark.