Laufboten mit heißen Sohlen

■ Seit einem Monat sind die ersten Laufkuriere unterwegs. Mit 30 bis 40 Kilometern legen sie täglich einen Marathon zurück. Auf Kurzstrecken sind sie schneller als Fahrradkuriere

Der stramme Fahrradkurier ist hinlänglich bekannt. Man kennt ihn von der Straße, wo er – leicht identifizierbar am orangefarbenen Rucksack – dem gedankenverloren über den Fahrradweg trottenden Fußgänger elegant am Ohr vorbeizischt. Man kennt ihn auch aus dem Büro, wo er – gestählte Waden, zerzaustes Haar – den Blicken der Post empfangenden Sekretärinnen schutzlos ausgeliefert ist. Und man kennt ihn natürlich aus den Medien, die ein übriges dazu beigetragen haben, um den Mythos vom Helden der Straße zu kreieren: „Sie sind jung. Sie sind sportlich. Sie sind sexy“, stellte Der Spiegel unter Auflistung sämtlicher herakleischer Tugenden fest.

Inline-Skater zerstören teure Teppichböden

Die strampelnden Jungs, deren Job irgendwo zwischen Leistungssport und Dienstleistung rangiert, haben Konkurrenz bekommen. Seit dem 1. Juli gibt es den Laufboten oder – knackiger – den „Walker“, einen Beruf, der auf den ersten Blick dem vorigen Jahrhundert entsprungen zu sein scheint. Doch man hüte sich davor, den Walker als die schlappe Variante des Bikers zu betrachten. Nein: Walken ist eine hochsportliche Angelegenheit. 30 bis 40 Kilometer legen die durchtrainierten jungen Männer pro Tag auf heißen Sohlen zurück. Das ist fast eine Marathonstrecke täglich.

Walker arbeiten vor allem in Hochhäusern

Daniel Stecher von „messenger“, mit 170 Boten zu Rad, Auto und Motorroller Berlins größter Kurierdienst, erklärt, weshalb „messenger“ seit neuestem auch Laufkuriere beschäftigt: „Uns geht es um ständige Produktinnovation“, fachsimpelt er. „Eigentlich wollte ich ja Inline-Skater auf die Straße schicken – ist ja grade so'n Trend –, aber die machen beim Kunden mit ihren Skatern den Teppich kaputt.“

tit dem Walker könne man der Zielgruppe Banken, Versicherungen und öffentliche Verwaltungen einen noch schnelleren und effektiveren Service bieten. Gerade Firmen, die in Hochhäusern untergebracht seien, brauchten oft ständige Kuriere und Boten, um die Wege zwischen den einzelnen Etagen zurückzulegen. „Bisher arbeiten unsere Leute ja eher in der Horizontale“, meint Stecher. „Aber wenn erst mal der Potsdamer Platz fertig ist, werden wir die ersten sein, die das Know-how für die Hochhäuser mitbringen.“ Überhaupt eigneten sich alle kurzen Strecken für den Laufkurier – „kein Fahrradabsperren, keine Parkplatzsuche, keine Behinderungen durch Staus, schlechtes Wetter oder Glatteis“.

Schlange stehen für die Auftraggeber

Aber auch Privatkunden profitieren vom hurtigen Walker: Der Laufbote steht sich in der Verkaufsschlange am Theater die Füße platt, er hastet kurz vor Ladenschluß in den Supermarkt, um den leeren Kühlschrank des überarbeiteten Kunden aufzufüllen, er holt Blumensträuße ab und überreicht sie auch gleich, er bringt in letzter Sekunde die überfälligen Kassetten zurück zum Videoverleih.

Laufkuriere werden dringend gesucht

Bei „messenger“ arbeiten inzwischen fünf Laufkuriere. „Und ich suche händeringend neue!“ stöhnt Stecher. „Wir bieten eigentlich einen hervorragenden Job: Die Kuriere erhalten siebzig Prozent ihres Umsatzes, wir vermitteln ihnen Aufträge und machen die Werbung.“ Die Anforderungen an den Walker sind allerdings anspruchsvoll. „Eine hervorragende Kondition ist ein Muß“, sagt Stecher. Der schnellste Läufer bei „messenger“ schafft die Marathonstrecke immerhin in drei Stunden und vier Minuten – das ist nur eine Stunde länger als Weltrekordzeit. „Aber die entscheidende Qualität des Kuriers ist die Kopfarbeit. Um die Aufträge und Tourenwege geschickt zu koordinieren, brauchen unsere Mitarbeiter Flexibilität und Schnelligkeit.“ Weshalb der „messenger“-Chef, auf dessen Stellenangebote hin sich etliche Rentner bewarben, keinen noch so flinken Sechzigjährigen einstellen würde: „Unsere Kunden erwarten von den Kurieren ein ganz bestimmtes Auftreten: durchgestylt, flippig, sexy.“

Diese Erwartungen scheint Floy – groß, muskulös, blond und langhaarig – zu erfüllen, der seit zehn Tagen für „messenger“ im Joggerschritt Treppen erklimmt und Bürgersteige entlangfegt. „Bisher ist es ziemlich okay“, meint der 34jährige, der Laufen als seine Leidenschaft bezeichnet. „Schon immer“ habe er „alle Wege im Laufschritt“ zurückgelegt.

Ist dies das Geheimnis ihres Erfolgs? Walker laufen gern – so wie Biker gern radeln. Eva Behrendt