Der Barbier von Bebra (2)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: In Nordhausen ist Wolfgang Thierse rasiert und klarinettiert worden. Die Kommissarin Gisela Güzel ermittelt.

Wenn es sich bei dem Bartskalpjäger um einen Serientäter handelte, war in der Zone womöglich noch mit Millionen Opfern zu rechnen.

„Was darf's sein, Frollein?“ knarrte der Küchenbulle. Er trug ein enges, kurzes, fettbespritzes Unterhemd, das eine schwarzbehaarte Bauchfleischborte freiließ.

„Einen Kaffee, bitte.“

„Aaah, Muckefuck!“ dröhnte einer der drei Tagediebe, die offensichtlich schon seit Stunden die Bude umsäumten, um sich den Sonntag mit Nordhäuser Doppelkorn und Fettletten zu versüßen, letztere „aus eigener Herstellung!“ wie ein schmuddeliges Pappschild prahlte. Die Südseite der Grillbude mit dem appetitzügelnden Namen „Peter's Wurst-Stopp“ hatte man bereits kompetent bestrullt.

„Willste nich zwei Korn dazu? Auf einem Bein kammanich schtehn, auch wenn's so knackje sind wie deine, Meedchen!“

„Oh, es kann ja sprechen. Mit eigener Stimme!“ sagte Gisela Güzel und wandte sich dem Küchenbullen zu. „Wo hat es das gelernt? Hier? Bei euch? Im Osten?“

Mürrisch knallte der speckige Imbißbudenmann einen Napf mit Plörre auf den Tresen. „Dreifuffzch!“ bellte er und ärgerte sich, daß ihm, wie immer, keine passende Antwort einfiel.

„Westtussi!“ gurgelte jetzt einer der beiden bisher stumm gebliebenen Taugenichtse und schneuzte sich nach Landessitte in die Armbeuge.

Gisela Güzel wartete geduldig auf eine Zugabe, aber der Mann hatte sein Repertoire schon voll ausgeschöpft.

„Westen stimmt genau“, bemerkte sie schließlich, „und arrogant und oberfächlich bin ich auch. Und unheimlich egoistisch, auch wenn ich mit meinen Steuern unnütze Esser subventioniere. Hoch die Tassen! Aufschwung Ost!“

Sie zahlte, nippte am Napf, stellte ihn zurück und zwinkerte dem Küchenbullen zum Abschied zu. „Die Krönung alleine genügt nicht, Schatz. Du mußt auch zu doof sein zum Kaffeekochen.“

Dann ging sie. Mit hängenden Kiefern stand die Herrenrunde am Büdchen und fand erst nach einigen Schrecksekunden zum Lärmen zurück: „Zickezacke zickezacke, heu, heu, heu!“

So schallte es wohl noch manches liebe Mal himmelwärts.

*

Slurp! Jürgen Fuchs strich sich mit geübter Geste sein Haar hinter das großporige Ohr, tunkte seinen rechten Zeigefinger in den Grind und blätterte ächzend eine weitere Seite einer weiteren Stasi-Akte um. „Die Analysen der Davongekommenen / glauben dem Grind / die Wunde nicht.“ Das hat Stephan Krawczyk einmal gedichtet, dachte Fuchs und betrachtete sinnend den benetzten Finger.

Sauregurkenzeit im Hause Gauck – seit Wochen keine Story mehr. Trübe hing der verfemte Lyriker seinen Gedanken nach. Wir sind hier mitten in einer großen Auseinandersetzung mit der Firma, grübelte er, von Bitterfeld bis Birma. Oder sogar bis nach Hohenschönhausen!

Mißmutig legte Fuchs erneut den Finger in die Wunde. Andere, Leichtlebigere, führten währenddessen ein Lotterleben in den Betten der Mätressen, praßten mit Pfründen, schlemmten, pafften, aalten sich wollüstig in der geilen Suhle der Goethe- Institute und verjuxten den Büchner-Preis, den er, Jürgen Fuchs, nie bekommen hatte, ganz im Gegensatz zu jüngeren, bequemeren Autoren wie Durs Grünbein, diesem Grünschnabel, und er, Jürgen Fuchs, hatte Hunger, Hunger, Hunger, hatte Durs, nein Durst – jawohl, es dürstete ihn nach Gerechtigkeit, nach Wahrheit, nach gelebter Solidarität in der Kultur der Ellenbögen! Hossa!

Es klopfte. Fuchs zuckte zusammen. Wer mochte das sein?

Fortsetzung folgt

Q Edition Nautilus