Tenochtitlán muß man neu erfinden

Filme zu Fuß machen: Werner Herzog durchstreift Mexiko auf der Suche nach Schauplätzen für seinen neuesten Film über die Eroberung und Zerstörung des Aztekenreichs durch den spanischen Lebemann Hernán Cortés  ■ Von Anne Huffschmid

Die Cineteca Nacional, das traditionsreiche Programmkino der mexikanischen Hauptstadt, ist bis auf den letzten Stehplatz ausverkauft. Tosender Beifall empfängt den Besucher aus Deutschland, der von den stolzen Veranstaltern ohne Umschweife als einer der „besten Filmemacher aller Zeiten“ vorgestellt wird. Werner Herzog braucht keine Übersetzung: In klarem Spanisch steht der agile 54jährige seinen mexikanischen Fans geduldig Rede und Antwort über das „Kino als Kunst der Analphabeten“ und über die Notwendigkeit, gegen den Mainstream „Filme zu Fuß zu machen“. Wahrlich nicht der Berserker, als den sich viele den Maestro vorgestellt haben mögen, sondern ein höflicher Mann mit bedächtigem, geradezu sanftem Auftreten. Seine Filme seien doch sicherlich von „wilden Träumen“ inspiriert, will ein Zuhörer wissen. „Ich bin einer der wenigen Menschen, die nachts leider nichts, aber auch gar nichts träumen“, klärt dieser ihn auf, „das ist vielleicht einer der Gründe, warum ich Kino mache.“

Einer der Tagträume, den der Filmemacher „seit 15 oder 20 Jahren im Herzen“ trägt, könnte jetzt Wirklichkeit werden: nichts Geringeres als die Verfilmung der Conquista von Mexiko hat sich Herzog diesmal vorgenommen. Die Eroberung und Zerstörung des legendären Aztekenimperiums durch den spanischen Lebemann Hernán Cortés sei „eine der fantastischsten, unglaublichsten und auch tragischsten Geschichten der Menschheitsgeschichte“, sagt er, „und in gewisser Weise fühle ich mich dafür kompetent“. Ungewöhnlich ist vor allem der Blickwinkel, von dem aus Herzog, dessen Drehbuch sich ausschließlich auf die zeitgenössischen Originalchroniken stützt, seine Conquista- Saga rekonstruieren will. Aus der Sicht der Azteken soll von der spanischen Invasion in der Neuen Welt berichtet werden, eine Art aztekischer Science-fiction, „in dem die Konquistadoren den Einheimischen als außerirdische Aliens erscheinen“. Damit die Azteken für die Zuschauer auch wirklich „wir“ sein können, werden sie im Unterschied zu den spanischsprachigen Invasoren jeweils „unsere Sprache“ sprechen: also deutsch in Deutschland, englisch in den USA und japanisch in Japan; für den lateinamerikanischen Raum wird es gar eine Synchronversion in náhuati, dem antiken Aztekenidiom, geben. Die größte logistische Herausforderung aber ist zweifellos die Rekonstruktion der Aztekenmetropole Tenochtitlán. Von der einst so prächtigen Wasserstadt, an deren Anblick als „amerikanisches Venedig“ sich die Neuankömmlinge zunächst noch ergötzt hatten, ist heute – bis auf ein paar Tempelruinen, die im Zentrum des 20-Millionen-Molochs freigeschaufelt wurden – so gut wie nichts mehr übrig. Wiederbelebt werden soll die sagenumwobene Riesenstadt mit Hilfe einer ausgetüftelten Kombination von Modellen, realen Bauten und „intelligenten Spezialeffekten“. Herzog, der bislang auch seine exotischsten Stoffe wie „Aguirre“ oder „Fitzcarraldo“ immer life und vor Ort gedreht hat, betritt mit dem Schritt Richtung Computeranimation filmisches Neuland – und ist sichtlich entzückt von deren unbegrenzten Möglichkeiten. Mit Unterstützung des Special-effects-Teams vom Kollegen Roland Emmerich („Independence Day“) können vor allem die aufwendigen Außenaufnahmen und Massenszenen geldsparend simuliert werden: aus 2.000 werden so „im Handumdrehen“ 10.000 Statisten, und 200 echte Kanus können per Computer leicht verzehnfacht werden. „Früher wäre eine solche Rekonstruktion gar nicht möglich gewesen“, sagt er begeistert, „heute können wir eine so gigantische Stadt genauso neu erfinden, wie man auch die Dinosaurier für ,Jurassic Park‘ neu erfunden hat.“

Dennoch wird der Film, der in Mexiko gedreht und „selbstverständlich“ überwiegend mit MexikanerInnen besetzt werden soll, „wahrscheinlich das teuerste Projekt, das ich in den letzten zwanzig Jahren gemacht habe“. Nach Schätzungen des mexikanischen Koproduzenten Jorge Sánchez belaufen sich die Kosten auf „mindestens 25 Millionen Dollar“, eine Summe, die das Budget der Herzog-eigenen Produktionsfirma bei weitem überschreitet. Verhandelt wird gegenwärtig mit finanzstarken Geldgebern aus dem Norden, darunter auch Francis Ford Coppola und dem National-Geographic-Verlag. Wann es denn nun endlich losgehen soll? „Leider gibt es für Filme solcher Größenordnung keine Terminplanung“, bittet Herzog, der gegenwärtig auf Drehortsuche im Lande unterwegs ist, die Journalisten um Geduld – und schaut dabei recht zuversichtlich drein.

Dabei ist das ehrgeizige Conquista-Projekt beileibe nicht der einzige Stoff, der Werner Herzog gegenwärtig umtreibt. Daneben arbeitet er an der Fertigstellung von „Tod für fünf Stimmen“ – ein Film über einen italienischen Experimentalkomponisten aus dem 16. Jahrhundert –, plant einen weiteren über „meinen Freund, die Bestie Klaus Kinski“ und schreibt an einem Drehbuch über einen gefangenen Piloten im Vietnamkrieg. Im Herbst dieses Jahres wird er zudem in Washington zusammen mit Plácido Domingo an einer Oper arbeiten. „Was noch?“ sinniert er kurz und ohne jede Koketterie. Ach ja, fällt ihm nach einer kleinen Weile ein, dann schreibe er zur Zeit noch an einem „größeren Prosatext“. Ungläubiges Raunen geht durch die vollbesetzten Reihen der Pressekonferenz. Wie er das denn schaffe, gleichzeitig an so vielen Orten und Themen zu sein? Ob man sich dabei nicht selbst verliere? Herzog lächelt nachsichtig. „Ich bin auf der ganzen Welt immer unterwegs auf der Suche nach würdigen Orten“, sagt er, „aber keine Sorge, bei alledem habe ich nie aufgehört, ein Bayer zu sein.“