Bangkoks Polizisten sind gekränkt

■ In Thailand wandern hohe Bestechungsgelder in die Taschen der Ordnungshüter

Bangkok (taz) – Bangkoks Polizei ist tief und kollektiv beleidigt. Sie ist so schwer gekränkt, daß der thailändische Premierminister Banharn Silpa-archa den Polizeichef der Hauptstadt gestern persönlich zu sich rief, um ihn zu beruhigen.

Hintergrund des Skandals, der die Gemüter in Thailand seit ein paar Tagen bewegt: Bestechungsgelder im Wert von mehreren Milliarden Mark sollen in den letzten Jahren in die Taschen der Polizei geflossen sein. Das ist das Ergebnis einer Studie über Thailands illegale Spielkasinos, die eine Forschungsgruppe unter Professor Sangsit Piriyarangsan jetzt veröffentlicht hat. Der Ökonom ist Chef des Politökonomischen Zentrums an der renommierten Chulalongkorn-Universität, dessen MitarbeiterInnen mit Vorliebe über Korruption und mafiöse Machenschaften im thailändischen Wirtschaftswunder forschen. In der thailändischen Hauptstadt, so fand Sangsit durch Befragung von Spielhallenbesitzern und Polizisten heraus, gibt es zwischen 187 und 300 Spiellokale – die alle illegal sind. „Schwarze Gelder“ von bis zu fünfzig Milliarden Mark fließen durch diese Kasinos, durch Untergrundlotterien und unerlaubte Fußballwetten. Das entspräche einem Fünftel des Bruttosozialproduktes vom vergangenen Jahr, errechnete Sangsit.

Niemand in Thailand bezweifelt ernsthaft, daß Korruption in der Polizei weit verbreitet ist. Was die Ordnungshüter jetzt jedoch bitterlich erzürnte, ist die Auflistung der regelmäßigen „Nebeneinkommen“ von Polizisten verschiedener Ränge: vom einfachen Streifenbeamten bis zum Chef von Polizeistationen. Das Geld werde zweiwöchentlich von den Spielhöllenbesitzern abgeführt.

In Bangkok gibt es 75 Polizeistationen. Der Chef einer solchen Station kann mit einem monatlichen Zusatzeinkommen von über 50.000 Mark rechnen, heißt es in der „Kasino-Studie“. Ein einfacher Chefinspektor in der Verwaltung erhält danach allerdings nur magere 500 Mark im Monat. Niemand kann, das ist allen Kommentatoren klar, in der Hauptstadt mit derart niedrigem Lohn zurechtkommen.

Kaum hatten die thailändischen Zeitungen über die Erkenntnisse des Professors berichtet, brach allgemeine Entrüstung aus: „Verleumdung“, riefen über 14 Bangkoker Polizeistationschefs und eilten zum Gericht, um Klage gegen Sangsit einzureichen.

Unsinn, entgegnete ein ehemaliger Kriminalkommissar, der jetzt Parlamentsabgeordneter ist. „Jeder Polizist, der behauptet, daß diese Erkenntnisse (über Schmiergelder von illegalen Kasinos) nicht wahr sind, lügt.“ – „Jeder weiß doch, daß es illegale Kasinos gibt. Warum also die Lügerei?“ fiel auch Gesundheitsminister Sanoh Thienthong den empörten Polizisten in den Rücken. Die Spielhallen könnten sich doch niemals ohne Hilfe von Beamten halten, fügte er hinzu. Und der Justizminister forderte die Stationschefs auf, ihre Klage zurückzuziehen. Die aber zeigten sich widerspenstig.

Während sich Polizeichefs, Politiker und die interessierte Öffentlichkeit noch stritten, wurde es für Professor Sangsit Ende letzter Woche langsam ungemütlich: Vor seinem Haus entstand plötzlich ein neuer Wachposten, bewaffnete „Freunde und Helfer“ liefen demonstrativ auf und ab. Sangsit beschloß, aus Sicherheitsgründen ein paar Tage unterzutauchen und erst zu seiner Seminarstunde am gestrigen Montag wieder zu erscheinen. Daraufhin kam es zu neuen Unterstützungserklärungen unter seinen Universitätskollegen, welche die Polizei der Einschüchterung beschuldigten. Die Studentenverbände kündigten eine massenhafte Solidaritätsaktion für den gestrigen Montag an: Hunderte würden zum Unterricht Sangsits erscheinen.

Die Zeitungen berichteten gestern über eine „wahrscheinliche Eskalation des Forschungsstreites“ und schienen kaum daran zu glauben, daß der Vermittlungsversuch von Premierminister Banharn Erfolg haben kann. „Der Dozent“, hatte Banharn am Sonntag erklärt, „hatte keine schlechte Absicht. Und die anderen beteiligten Seiten haben doch nur versucht, ihre Pflicht zu tun.“

Banharn ist nicht nur Regierungschef, sondern auch Innenminister und damit oberster Chef der Polizei. Seine Fürsorge für die Polizisten erstreckte sich bisher darauf, mit Pressefotografen im Gefolge unangekündigt einige Polizeistationen zu besuchen und die überraschten Beamten zu ermahnen, ihre Büros besser sauberzuhalten. Jutta Lietsch