Der Barbier von Bebra (3)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Wolfgang Thierse ist hinüber; Jürgen Fuchs sitzt nichtsahnend in der Gauck- Behörde. Es klopft.

Georg Büchner persönlich? In Strapsen? Vorfreudig straffte Fuchs seinen Reibeisenleib, sprang auf, rief „Herein!“ und hob leicht das fliehende Gesäß.

Aber nicht Georg Büchner kam herein und auch nicht Georg Buschner, der ehemalige Fußball-Nationaltrainer der DDR mit den buschigen Augenbrauen, sondern nur ein Bürobote mit einem weiteren Stoß vermaledeiter Akten.

Pflichtbewußt und stumm nahm Fuchs den verhaßten Krempel entgegen, dankte dem Boten militärisch knapp und gab ihm fünf Pfennig Trinkgeld. Dann fiel sein Blick auf das Etikett des obersten Aktendeckels: „Für Fuchs tabu!“ stand dort in dicker, schwarzer Eddingschrift. „Supergeheim!“

„Wo haben Sie das her?“ schnappte der ausgefuchste Etikettenkenner.

„Aus dem Keller, Herr Fuchs. Da sind noch Dutzende von der Sorte. Die werden gerade weggeschmissen.“

„Wie? Was? Weggeschmissen?“ Fuchs war außer sich. Behende schlüpfte er in seine Slipper und drong den Boten vor sich her. „Zeigen Sie mir die Stelle, aber dalli!“

Im Dauerlauf fegten die beiden durch die Korridore.

„Ich muß sie haben! Ich muß sie alle haben!“ eiferte Fuchs.

Treppab, treppab ging die wilde Jagd, durch spinnwebenverklebte Treppenhäuser und Flure, immer tiefer hinab, ins Labyrinth der dunklen Mächte. Keuchend erreichten die Männer ihr Ziel.

„Da vorne ist es“, hechelte der Bote und wies auf eine Pforte. Fiebrig taumelte Fuchs vorwärts und öffnete die Tür, die unwillig in den Angeln knirschte.

Vor ihm lag eine Waschküche, gekachelt, dumpfig, von einer nackten Glühbirne lasch befunzelt. In der Mitte des Raums stand ein mannshohes Faß.

Fuchs stutzte.

Von hinten sprang ihn der Bote an, nahm ihn in den Schwitzkasten und zerrte ihn zum Faß, wo er ihn mit drei schnellen, geschickten Schnitten barbierte und ihm die Schuhe auszog. Und es schien fast so etwas wie Erleichterung in der Stimme des Mörders mitzuschwingen, als er sang: „Sulfrin, Sulfrin, Sulfrin vertreibt die Schuppen, fettiges Haar wird wieder schön!“

Dann versenkte er den Poeten in zehn Hektolitern Sulfrin- Shampoo, die das Faß bis obenhin füllten.

Erst am nächsten Morgen drang eine Reinemachefrau in die Waschküche vor, erspähte die nikotingelben, über den Faßrand ragenden Lyrikerfüße und schlug Alarm.

*

Gisela Güzel jagte ihren Dienstwagen, einen frisierten Wartburg, mit 200 Sachen über die Autobahn, zurück nach Berlin. Die Nacht im „Schwanen“, dem besten Hotel Nordhausens, steckte der Kommissarin noch in den Knochen. Zweihundert Mark hatte sie dafür bezahlt, in einem überheizten, winzigen, mit Sperrmüll vollgestopften Verschlag übernachten zu dürfen. Aus hygienischen Gründen hatte sie in voller Montur geschlafen, Seite an Seite mit ihr bis dahin noch unbekannten Kerb- und Weichtieren.

Um sich nicht noch schmutziger zu machen, hatte sie auf die Dusche verzichtet. Das Frühstück – eine Leberwurststulle und grauer Kaffee, der verdächtig nach Peter's Wurst-Stopp roch – hatte sie ebenfalls verschmäht, und der Abschiedsgruß der Rezeptionshexe klang ihr noch säuerlich in den Ohren: „No, wiedr no driehm, jonge Frou?“

Die Kommissarin trat das Gaspedal voll durch, scheuchte einen BMW mit Plauener Kennzeichen auf die Kriechspur und warf im Vorüberzischen einen kurzen Blick auf das neidverzerrte Gesicht des Fahrers. Im Rückspiegel sah sie ihn bremsen, wenden und für immer umkehren.

Fortsetzung folgt

Vorabdruck, erscheint bei Edition Nautilus