Clinton hat die Revolution gefressen

Noch vor kurzem war Newt Gingrich in den USA gefürchtet als Bannerträger eines neurechten Feldzugs gegen den Staat. Jetzt ist davon nichts übrig – außer einem strahlenden Präsidenten  ■ Von Andrea Böhm

Bescheidenheit ist seine Stärke nicht – auch nicht im Niedergang. Newt Gingrich, Stratege und Galionsfigur der republikanischen „Revolution“ von 1994, will immer noch die amerikanische Zivilisation retten, obwohl seine Gefolgstruppen sich längst in Ungehorsam üben und sich der politische Gegner auf fast alle Barrikaden gedrängelt hat. Zwei Jahre sind seit dem Sieg der Gingrich-Republikaner bei den US- Kongreßwahlen vergangen, die der „Grand Old Party“ zum ersten Mal seit 40 in beiden Kongreßkammern wieder die Mehrheit bescherten. Es kam mit Gingrich eine Fraktion antietatistischer Neulinge nach Washington, um Washington zu entmachten. Heute erinnert man sich in den USA an ihre triumphale Eroberung des Kapitols so gern wie an das Besäufnis einer Burschenschaft, die durch Zufall an den Schlüssel zum Rektorenzimmer gekommen ist.

Der „Vertrag mit Amerika“ – jene konservative Kollektion von zehn demoskopisch getesteten Gesetzesvorhaben, die einen Pakt zwischen dem Volk und seinen „Revolutionären“ suggerieren sollten – ist längst Altpapier. Die Schlacht um den Bundeshaushalt 1996 wurde zumindest in den Meinungsumfragen von US-Präsident Clinton gewonnen. Newt Gingrich, Sprecher des US-Repräsentantenhauses mit Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2000, ist heute unpopulärer als Hillary Clinton und dient derem Gatten als Abschreckungsschablone im Wahlkampf.

Gestoppt wurde die Gingrich- Revolution nicht von einer Gegenbewegung, sondern durch parteiinternen Widerstand. Im Senat wurden zahlreiche Gesetzesvorhaben der Neuen Rechten mit Hilfe moderater Republikaner auf Eis gelegt. Dazu hatten die Gingrich-Republikaner Bill Clintons Fähigkeit, den Republikanern auf der Ebene der politischen Performance fast sämtliche Themen abzunehmen und sie gleichzeitig als „extremistisch“ zu brandmarken, kolossal unterschätzt. Clinton habe „kein Rückgrat“, hatte Newt Gingrich nach dem Wahlsieg seiner Partei 1994 verkündet. Dem stimmen längst auch die Linken in den USA zu – doch dieses Defizit verleiht dem Präsidenten eine mittlerweile sagenumwobene Wendigkeit, verpackt als Pragmatismus. So haben die Neuen Rechten zwar das politische Koordinatensystem gewaltig verschoben, doch die Lorbeeren heimst nun ausgerechnet jener Präsident ein, dessen Unbeliebtheit im November 1994 entscheidend für den Wahlsieg der Republikaner gewesen war. Zuletzt demonstrierte Clinton diese Fähigkeit mit seiner Zustimmung zur Demontage des Wohlfahrtssystems.

Die Selbstzerstörung der „Revolutionäre“ begann Ende letzten Jahres, als sich Legislative und Exekutive einen Showdown um die Verabschiedung des US-Haushalts lieferten. Die Neuen Rechten im Repräsentantenhaus hatten Ronald Reagans Maxime, wonach der Staat nie die Lösung ist, sondern immer das Problem, mit ihrem Dogma des Haushaltsausgleichs verknüpft. Bill Clinton sollte nun gezwungen werden, einen Budgetentwurf abzusegnen, der das jährliche Haushaltsdefizit innerhalb der nächsten sieben Jahre auf Null senken würde. Der Konflikt führte die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit und legte Bundesbehörden wochenlang still, weil das Parlament einen Überbrückungshaushalt verweigerte und damit der Regierung den Geldhahn abdrehte. Doch diese Waffe wurde zum Bumerang: Aus anonymen Bundesbürokraten, Feindbild der Neuen Rechten, wurden plötzlich Menschen, die ausgerechnet über Weihnachten ohne Gehälter zu Hause saßen. Nach dem physischen Anschlag auf den Staat durch das Bombenattentat auf ein Bundesverwaltungsgebäude in Oklahoma City wirkte diese Attacke wie übles Nachtreten. So etwas stand nicht im „Vertrag mit Amerika“.

Am Ende wurde von den massiven Kürzungsvorhaben der Republikaner weit weniger verwirklicht, als diese sich gewünscht hatten: Von der Abschaffung der Ministerien für Erziehung, Handel und Städtebau war keine Rede mehr; die verhaßte staatliche Kulturförderung überlebte ebenso wie die US-Umweltschutzbehörde. Die Haushaltsposten im zivilen Bereich mußten Einschnitte in Höhe von insgesamt 22,3 Milliarden Dollar hinnehmen, während das Pentagon einen Zuschlag von 1,9 Milliarden bekam.

Doch die Republikaner begannen dann, sich in internen Konflikten zwischen pragmatischeren Fraktionen, die angstvoll auf die zunehmend schlechten Umfragen schielten, und kompromißlosen Ideologen wie dem Haushaltsexperten John Kasich oder dem Fraktionsführer im Repräsentantenhaus, Dick Armey, aufzureiben. Nachdem Gingrich einer Journalistin gestanden hatte, daß er in Gesprächen mit Clinton immer wieder weich werde, wurde ihm Armey als Aufpasser zur Seite gestellt. „Revolutionsführer versuchen am Ende immer, sich gegenseitig mit noch größerer Radikalität auszustechen“, kommentierte süffisant der Historiker Gary Wills – und verglich die Köpfe der „republikanischen Revolution“ mit Danton, Marat, Saint Just und Robespierre.

Moderate wie William Kristol, Chefredakteur der neuen konservativen Wochenzeitung Weekly Standard, riefen laut nach Colin Powell als Präsidentschaftskandidaten. Gegen ihn mobilisierte die christliche Rechte aufgrund seiner vergleichsweise liberalen Haltung zu Abtreibung, Antidiskriminierungssprogrammen oder Sozialhilfe. Neokonservative wie der Milliardärssohn Steve Forbes mokierten sich über die „Defizitobsession“ ihrer Parteigenossen im Kongreß. Pat Buchanan sammelte zum Erschrecken des Partei- Establishments überraschend viele Stimmen der „working poor“. Über all dem – oder besser gesagt: mitten drin – steht Bob Dole, Kandidat einer Partei, die sich kurz vor Beginn ihres Parteitages am Montag im kalifornischen San Diego immer noch auf den Wortlaut ihres Wahlprogramms einigen muß. Bob Doles Parteitagsrede am nächsten Donnerstag wird schon mit den Worten „Dead Man Talking“ kommentiert.

Soviel Zwist im Lager des Gegners freut die Wahlkampfstrategen im Weißen Haus. Bill Clinton liegt in den Meinungsumfragen als „Mann der Mitte“ klar vorn. Links von Clinton, so schrieb letzte Woche der Kommentator Mark Shields in der Washington Post, stehe mittlerweile Richard Nixon, der in seiner Amtszeit weitreichende Umweltschutzmaßnahmen und Antidiskriminierungsgesetze unterzeichnet und zudem eine gesetzliches Mindesteinkommen für alle Amerikaner befürwortet hatte. „Das war der letzte liberale Präsident, den wir hatten.“