Chlorgebleichtes, giftiges Gold

■ Brasilien produziert den billigsten Zellstoff – weltweit steigende Papiernachfrage verursacht Produktionsboom

Rio de Janeiro (taz) – Weder Kaffee noch Kautschuk und auch nicht Kakao: Brasiliens neuester Exportschlager heißt Zellstoff. Der rasante Preisanstieg für den Rohstoff auf dem Weltmarkt von 320 US-Dollar pro Tonne im November 1993 auf 950 US-Dollar im Dezember 1995 bescherte der Zellstoffbranche im vergangenen Jahr Gewinnspannen bis zu 200 Prozent. Angesichts der weltweit wachsenden Papiernachfrage hat Brasilien sich nach den USA zum zweitgrößten Exportland von Kurzfaserzellstoff auf Eukalyptusbasis gemausert. Nun will die internationale Umweltschutzorganisation Greenpeace die lateinamerikanischen Hersteller dazu bewegen, beim Bleichen der Zellulosemasse auf den Einsatz des giftigen Chlors zu verzichten.

„Die Nachfrage nach chlorfreiem Zellstoff ist riesengroß“, erklärt Nadia Haiama, Kampaignerin bei Greenpeace in Brasilien. Auch das technische Wissen für den umweltfreundlichen TCF-Prozess (TCF: Totally chlorine free“, Anmerk. der Red.) sei bei den Herstellern vorhanden. „Es mangelt lediglich an politischem Druck.“ Bis jetzt bestehen bei der Einfuhr des Rohstoffes lediglich die Bundesrepublik und die skandinavischen Länder auf dem Zertifikat TCF.

„Deutschland wird von den grünen Ideologien am meisten geschädigt“, beschwert sich Joaßo Felipe Carsalade, Verkaufsdirektor bei Brasiliens größtem Zellstoffhersteller Aracruz. Die Deutschen seien „ökologisch extrem anspruchsvoll“. Aracruz exportiert jährlich 70.000 Tonnen TCF-Zellulose in die Bundesrepublik. Der Branchenführer ist die einzige brasilianische Firma, die einen geringen Anteil ihrer Produktion dem TCF-Verfahren unterzieht. Die Mehrheit der Konkurrenten beschränkt sich darauf, beim Bleichprozeß Chlor durch Chlordioxid zu ersetzen.

Bei der Vermischung von Chlor mit organischem Material wird giftiges Dioxin freigesetzt. Die brasilianische Umweltgesetzgebung verbietet den Prozeß der Chlorbleiche nicht. Nur drei der insgesamt fünf großen brasilianischen Zellulosehersteller wenden wenigstens das ECF-Verfahren an – meist aus Rücksicht auf ihre internationalen Kunden (ECF: Elementally chlorine free).

Statt auf Investitionen im Bereich Umwelttechnik setzt Brasiliens Zelluloseindustrie auf den Ausbau der Produktion. Im Zeitraum von 1983 bis 1995 verdoppelte die Branche ihre Jahresproduktion von 2,9 Millionen Tonnen auf 5,2 Millionen Tonnen im Jahr. Die Wachstumsaussichten sind glänzend. In Westeuropa und den USA hat sich die Papiernachfrage auf hohem Niveau eingependelt. In Schwellenländern wie China, Süd-Korea und Brasilien steigt der Bedarf außerordentlich. „Vor zehn Jahren hat jeder Koreaner 17 Kilogramm Papier im Durchschnitt pro Jahr verbraucht, heute sind es 170 Kilo“, erklärt „Aracruz-Chef Luiz Kaufmann. In den USA liegt der Pro-Kopf-Verbrauch bei 300 Kilogramm, in Brasilien beträgt er ein Zehntel davon.

Der allgemeine Holzverbrauch wird in Brasilien auf jährlich 282 Millionen Kubikmeter geschätzt. Rund ein Viertel davon, 75 Millionen Kubikmeter Holz, stammt aus Aufforstungen. Der Löwenanteil, hauptsächlich Brennholz und Holzkohle, kommt aus Primärwäldern. „Eine rasche Abholzung schafft freie Flächen für den Anbau von Nutzwaldflächen mit schnell wachsenden Baumarten“, lautet das Fazit einer Studie, die der „World Wildlife Fund“ in Auftrag gab. Die Studie belegt, daß zwischen der Höhe der Holzpreise und dem Kahlschlag ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Klimatische Vorteile verhelfen Brasilien zu den billigsten Produktionskosten weltweit. Im größten Land Lateinamerikas ist ein Eukalyptusbaum bereits nach sieben Jahren ausgewachsen. In Portugal dauert der Produktionszyklus 18 Jahre, in den skandinavischen Ländern sogar 70 Jahre. Schnelles Wachstum, billige Energie und Arbeitskräfte drücken die Kosten für eine Tonne Zellulose in Brasilien auf rund 200 Dollar. In Portugal und den USA liegen die Produktionskosten bei 290 Dollar und in Schweden bei 359 Dollar.

Die Konkurrenz aus lateinamerikanischen Nachbarländern wie Chile und Argentinien und neuerdings auch aus Indonesien veranlaßt Brasiliens Zellstoffbranche, verstärkt auf „unlautere Wettbewerbsbedingungen“ hinzuweisen. „In Indonesien wird der Urwald zerstört, und in Chile wird die Zellulosebranche massiv subventioniert“, beschwert sich Aracruz- Chef Kaufmann. Greenpeacerin Nadia Haiama quittiert das frisch erwachte Umweltbewußtsein mit bitterer Ironie. „Brasilien ist seiner Konkurrenz voraus.“ Urwald gebe es an der brasilianischen Küste nicht mehr. Von der artenreichen „Mata Atlantica“ stehen nur noch fünf Prozent. Astrid Prange