Ursprüngliches Traumziel Laos

Der Vietnamkrieg und die jahrelange Selbstisolation nach der kommunistischen Machtübernahme 1975 haben Laos in eine Rückständigkeit versinken lassen, die von Touristen heute gern als Romantik verklärt wird  ■ Von Volker Klinkmüller

Noch einmal röhrt der Motor auf, um sogleich wieder zu verstummen. „Näher dürfen wir nun wirklich nicht mehr heranfahren“, mahnt Saritdet und läßt sein Boot ein Weilchen in respektvollem Abstand treiben. So bleiben die Konturen der rotlehmigen Insel mit ihren schlichten Holzbauten verschwommen. „Von dort drüben“, streckt der 43jährige Bootsführer seinen Zeigefinger aus, „haben es letzten Monat wieder drei versucht. Einer ist ertrunken, aber die anderen haben es mit einem gekaperten Boot bis zum Festland geschafft.“ Dort hat allerdings die Polizei gewartet, denn Fluchtversuche von den Gefängnisinseln Done Nang (für Frauen) und Done Thao (für Männer) im Nam- Ngum-Stausee – rund 90 Kilometer nördlich der laotischen Hauptstadt Vientiane – gehören schon fast zum Alltag. Bis 1988 wurden die Eilande als Umerziehungslager für politische Gefangene benutzt, heute büßen hier vorwiegend Diebe und Dirnen. Und erst 25 Jahre ist es her, als die Inseln noch bewaldete Bergkuppen waren und sich unten in den Tälern wilde Elefanten und Tiger tummelten.

Als Saritdet vom laotischen „Alcatraz“ in einen anderen Winkel des 370 Quadratkilometer großen Sees weitertuckert, schrammen kahle, glitschige Baumkronen am Bootsrumpf. Dann kommt eine schwimmende Plattform in Sicht, auf der geschäftiges Treiben herrscht: An Stahlseilen und Schläuchen hängend, werden preßluftgetriebene Kettensägen in die Tiefe gelassen. Froschmänner mit Sauerstoffgeräten tauchen bis zu 50 Meter auf den Seegrund, um die damals in eiligem Fortschritt unter Wasser gesetzten Urwaldriesen zu fällen. Durch den jahrelangen Luftabschluß gelten diese Edelhölzer als besonders wertvoll und einträgliches Exportgut. Aber bald schon sollen nicht nur das geborgene Holz oder die am Staudamm gewonnene Elektrizität, sondern der ganze See gegen harte Devisen vermarktet werden: Für 320 Millionen Mark wollen malaysische Investoren dieses Gewässer in eine organisierte Ferienfabrik verwandeln – mit zahlreichen Hotels, Bungalows, Themen-Restaurants, Duty-free-Shops, Spielcasinos, Miniaturparks, Yachthäfen, einem Amphitheater und zwei 18- Loch-Golfplätzen.

Eine ungewöhnliche Idee für einen ungewöhnlichen See. Doch beim Aufbau des Landes setzt die Regierung voll auf den Tourismus: Neben dem Export von Holz und Wasserkraftenergie soll er zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor ausgebaut werden. So groß wie Großbritannien, von fünf Nachbarländern eingeschlossen wie die Schweiz und mit nur 4,4 Millionen Einwohnern, gehört Laos zu den zehn ärmsten Staaten der Welt. Der Vietnamkrieg und die jahrelange Selbstisolation nach der kommunistischen Machtübernahme 1975 haben das Land in eine Rückständigkeit versinken lassen, die von Touristen heute gern als Romantik verklärt wird und Laos zu den letzten ursprünglichen Traumzielen Asiens macht. Erst als der Ostblock zusammengebrochen war und die Mißerfolge der staatlichen Planwirtschaft überhandgenommen hatten, hoben die Machthaber den Bambusvorhang Ende der achtziger Jahre wieder etwas an. Mit der „Resolution Nr. 5“ entschied sich das Regime für die Marktwirtschaft und finanzstarke Investoren aus Thailand, Hongkong, Singapur, Taiwan oder Korea. Während die Ressourcen des Landes zur Plünderung freigegeben wurden, sollen die politischen Zügel fest in kommunistischer Hand bleiben.

In Vientiane – der mit 450.000 Einwohner kleinsten Hauptstadt Südostasiens – hat die Öffnung des Landes erst geringe Spuren hinterlassen. Nachdem sich in der Öffentlichkeit immer mehr Protest geregt hatte, wurde der Abriß französischer Kolonialvillen 1993 gestoppt. Moderne Hotelklötze, wie sie in den umliegenden Metropolen Saigon, Hanoi, Phnom Penh, Yangon und natürlich auch in Bangkok oder Chiang Mai als Boten wirtschaftlichen Aufschwungs aus dem Boden sprießen, blieben Vientiane bisher erspart. Auffälligstes Bauwerk Vientianes ist noch immer der „Anousavari“- Triumphbogen, der sich wie eine überdimensionale Zuckergußtorte aus dem Zentrum erhebt. In den sechziger Jahren unter königlicher Herrschaft als eigenwillige Mischung aus europäischer Betonarchitektur mit buddhistischem Zierat errichtet und nach der Revolution mehrmals von der Sprengung bedroht, ermöglicht das „Patou Say“ (Tor des Sieges) einen herrlichen Panoramablick auf die grüne Stadtkulisse: Überall sorgen kleine Reisfelder, Gemüsebeete und Fischtümpel, frei herumlaufende Schweine, Rinder und Hühner für eine fast dörfliche Atmosphäre. Noch beherrschen Fahrrad- und Mopedfahrer, dreirädige buntbemalte „Jumbo“-Taxen und knatternde „Tuk Tuks“ den spärlich-gemütlichen Straßenverkehr. Frauen in knöchellangen Wickelröcken verkaufen dampfende Nudelsuppen, die an einfachen Garküchen in aller Ruhe gelöffelt werden. Aber auch neue Restaurants mit französischer oder italienischer Küche werben um die Gunst der stetig wachsenden Schar von Diplomaten, Entwicklungshelfern und Touristen.

Abends führen bunte Lichterketten zu Tanzclubs wie dem Marina, Blue Star, Belle Ile oder Nokkeo Latrymay. Doch die laotischen Behörden wollen jeglichen Sextourismus verhindern, gehen mit Härte gegen Ausschweifungen des Nachtlebens vor. Die Erfahrungen der wilden sechziger und siebziger Jahre, als Vientiane ein einziges Rotlichtviertel für amerikanische Soldaten war und sich Drogenfreaks aus aller Welt ein Stelldichein gaben, sind noch nicht vergessen. Spätestens zur Sperrstunde um Mitternacht ist das Nachtleben beendet. Diskotheken und Karaoke-Bars, die sich im übrigen Südostasien größter Beliebtheit erfreuen, sind verboten, weil sie nach Meinung der Behörden Prostitution fördern. Live- Bands müssen außer westlichen und thailändischen Hits einen bestimmten Anteil des einheimischen Reigentanzes „Lam Vong“ spielen – und sich darüber hinaus einer züchtigen Kleiderordnung unterwerfen. Nach offiziellem Bekunden will Laos aus den Fehlern seines thailändischen Nachbarn gelernt haben, beim Ausbau des Tourismus ökologische und sozialpolitische Fehlentwicklungen vermeiden.

Deshalb sollen Natur, Kultur, Traditionen und gewachsene Strukturen trotz allen wirtschaftlichen Drucks als wichtigstes Zukunftspotential geschützt werden. „Wir müssen aufpassen, daß der Fremdenverkehr nicht unserer Identität und Lebensweise schadet. Deshalb wollen wir die Entwicklung nur schrittweise vorantreiben“, beteuert Sannya Abhay als stellvertretender Direktor der staatlichen Touristenbehörde. Dabei hat er vor allem die devisenschwachen Rucksacktouristen im Visier, die sich erfahrungsgemäß an keinerlei Bestimmungen zu halten pflegen und auch schon mit gemieteten Motorrädern in abgelegene Bergdörfer vorgedrungen sind, um mit den dort lebenden Minderheiten Opium zu rauchen oder Saufgelage zu veranstalten. Das ursprünglich vorgesehene Konzept, sich nur dem Luxustourismus zu öffnen, war bereits an der völlig unzureichenden Infrastruktur gescheitert. Denn abgesehen von Engpässen im Hotelgewerbe muß beim Herumreisen noch so manches Hemmnis einkalkuliert werden: Als einziges Land Südostasiens besitzt Laos keine Eisenbahnlinien, und die Schiffsverbindungen sind wegen unregelmäßiger Wasserführung der Flüsse von der jeweiligen Jahreszeit abhängig.

Der Maschinenpark der staatlichen Fluggesellschaft „Laos Aviation“ läßt sich an einer Hand abzählen – was mitunter dazu führt, daß der Flugplan lediglich als Ideenvorgabe zu verstehen ist. Die meisten Straßen befinden sich in einem miserablen Zustand, sind während der Regenzeit unpassierbar. Zudem gibt es auf der 350 Kilometer langen Strecke von Vientiane nach Luang Prabang ein Sicherheitsproblem: „Wir raten Touristen dringend ab, auf dem Landweg nach Luang Prabang zu reisen“, lautet eine Empfehlung der deutschen Botschaft in Vientiane. Ein australischer Entwicklungshelfer wurde bereits in seinem Jeep ermordet, und zwei französische Touristinnen, die in einem öffentlichen Bus mitfuhren, sind bei einem Feuerüberfall schwer verletzt worden. Immer wieder kommt es auf dieser Straße zu Überfällen der „Hmong“-Rebellen, die einst vom amerikanischen Geheimdienst CIA als Widerstandskämpfer rekrutiert wurden und sich offenbar noch immer den Kriegszielen von einst verpflichtet fühlen.

Eine weitere Hinterlassenschaft des Krieges lauert in Xieng Khouang. Hier werden Touristen eindringlich gewarnt, die festen Wege zu verlassen oder unbekannte Gegenstände zu berühren. Denn diese Provinz gilt als der am heftigsten bombardierte Zipfel der Welt und ist teilweise noch heute von unzähligen Bombenkratern übersät. Im Boden schlummernde großkalibrige Blindgänger und tennisballkleine, farbige Splitterbomben – von den Einheimischen „Bombies“ oder „Bomblets“ genannt – fordern jedes Jahr mehrere Tote und Verletzte. Mit Sicherheit würden sich Touristen nicht sonderlich für dieses kriegszerstörte trostlose Fleckchen interessieren, würde da nicht 12 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Phone Savan die geheimnisumwitterte „Ebene der Tonkrüge“ locken. Wie durch ein Wunder haben 60 Prozent dieser 289 rätselhaften Gefäße den Bombenhagel der Amerikaner unbeschadet überstanden. Archäologen errechneten das Alter der im Gras verstreuten Krüge – Zeugnisse einer hochentwickelten Zivilisation – mit 2.000 Jahren. Die laotische Regierung ist bemüht, sich dieses Flächendenkmal von der Unesco als „Weltkulturerbe“ anerkennen zu lassen. Denn erfahrungsgemäß beschert das mehr touristischen Zulauf.