Abschied vom literarischen Tagedieb

■ Herbert Huncke, ein Schutzpatron und Stichwortgeber der Beat-Literatur, ist tot

Dies ist vielleicht die größte Frechheit in einem Leben, das nicht eben brav verlaufen ist: daß Herbert Huncke, der dienstälteste Junkie der Literatur, überhaupt die 80 überschritten hat. Für einen Dieb und Stricher, der auch als alter Mann noch ständig drauf war, ist das mehr als ein respektables Ergebnis.

Fast siebzig Jahre Genuß ohne Reue – man darf darauf wetten, daß Huncke seinen Spaß an dieser Brüskierung des gesunden Menschenverstands gehabt hat. Am Donnerstag ist er in New York im Alter von 81 Jahren gestorben. Wie sein literarischer Nachlaßverwalter Jerry Poynton mitteilte, erlag Huncke in einem Krankenhaus einem Herzversagen.

Huncke hat mit 15 angefangen zu fixen und ist mit 17 von zu Hause fortgelaufen. Nach einer Zeit des Herumtingelns kam er 1938 nach New York, wo er sich als Kleinkrimineller durchschlug. 1944 traf er William S. Burroughs, den er bald fürs Heroin gewann. Seine Verehrer unter den Beat-Literaten, so Huncke, „waren wohlbehütet aufgewachsene Studenten und deshalb fasziniert von mir, von meiner Art, entgegen den Normen zu leben“. Er kannte die Jazzgrößen des Bebop, er vermittelte Kontakte und wurde herumgereicht. Bis er für zehn Jahre, bis 1959, ins Gefängnis mußte.

Als Herbert Huncke vor fast zwei Jahren auf Einladung der taz in der Kneipe des Berliner Kulturzentrums Tacheles las, war der Andrang enorm: Die Kollegen Kulturjournalisten wurden von den anwesenden Jugendlichen regelrecht an den Rand gedrängt. Der 79jährige Erfinder des Begriffes „beat“ war immer noch kein Fall für die gepflegte Atmosphäre der Literaturhäuser geworden.

Die literarische Plaudertasche Huncke las Geschichten aus seinem progressiven Alltag: etwa die von der Verhaftung des drogensüchtigen Hermaphroditen Elsie, der (die?) eine Schwäche für kleine Hündchen hat. Andächtige Stille. Es war ein bißchen, wie wenn ein netter Opa vom Krieg erzählt – nur eben von einem Krieg gegen sich selber: Ständig geht es hier darum, wie man Geld für Drogen ranschafft, sich dann die gewünschten Drogen verschafft und sich der Polizei entzieht.

Herbert Huncke war für die amerikanische Nachkriegsliteratur etwa das, was Jean Genet für die Pariser Rive Gauche war – der homosexuelle Dieb als Stichwortgeber der antibürgerlichen Literaten. Keiner ist so oft wie er in den Werken der „beat generation“ verarbeitet worden, von Jack Kerouac in „On the road“, von Allen Ginsberg in „Howl“, und von William S. Burroughs in seinem autobiographischen Werk „Junkie“: „Wellen von Feindseligkeit und von Verdächtigungen wurden von seinen großen braunen Augen wie Fernsehstrahlen ausgesandt. Der Effekt war ein fast körperlicher Zugriff. Der Mann war schmal und sehr dünn, sein Hals lose im Kragen seines Hemdes. Seine Hautfarbe changierte von Braun zu einem fleckigen Gelb, und ein pfannkuchendickes Make-up war aufgetragen worden, um eine Hautreizung zu verbergen. Seine Mundwinkel waren heruntergezogen in einer Grimasse verdrießlicher Langeweile.“

Nun ja, das waren die frühen und wilden Jahre. Am Ende hatte sich Huncke zwar die Grimasse der Verdrießlichkeit bewahrt, aber es war doch eher etwas Heiteres um ihn, eine eigenartig buddhistische und unberührbare Aura.

Seine letzten Jahre verbrachte er im legendären Chelsea Hotel, unterstützt von freigebigen Freunden. Er glaube, sagte er, nur an die Sterblichkeit des Körpers, der Geist werde sich in Energie auflösen.

Na, wir werden sehen: Der schlichte, verschlagene, freundliche, pathetische, sarkastische Huncke ist tot, der letzte große Literaturgroupie, der letzte, der die Literaten glauben machte, es gebe eine Literatur jenseits der Literatur. Jörg Lau