Vogelfänger in Düsseldorf

■ Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem Chef des Thyssen-Konzerns Betrug an der damaligen Treuhandgesellschaft vor - in den Knast stecken will sie ihn aber nicht

Berlin (dpa/AP/taz) – Krisensitzung in Düsseldorf: Die Führung des Thyssen-Konzerns sieht sich mit der Affäre um die ehemalige DDR-Handelsgesllschaft für Metallurgie konfrontiert, die sie im letzten Sommer aus der Welt geschafft zu haben glaubte. Doch gestern vormittag verkündete die Berliner Staatsanwaltschaft dem Vorstandsvorsitzenden Dieter Vogel persönlich, was er schon in den Morgenzeitungen gelesen hatte. Nämlich, daß sie einen Haftbefehl gegen ihn und neun weitere Manager des Konzerns erlassen habe.

Die Berliner Fahnder ermitteln schon seit Mai dieses Jahres. Außer Vogel, der erst in diesem März den Vorstandsvorsitz der Thyssen AG übernahm hatte, seien namentlich die Vorstände der Konzerntochter Thyssen-Handelsunion, Joseph von Riederer und Hans Ulrich Gruber, betroffen, außerdem der ehemalige Vorständler Heinrich Kersten, teilte der Konzern gestern mit.

Nach Auffasung der Staatsanwaltschaft hatte die Thyssen-Handelsunion unter ihrem damaligen Chef Vogel die Treuhandanstalt bei der Abwicklung der DDR- Handelsgesellschaft Metallurgie um 73 Millionen Mark betrogen – ein Vorwurf, den selbst die Bundesansanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) als Rechtsnachfolgerin der Treuhand nicht recht verstehen will. Zwar hatten Staatsanwälte schon im Herbst 1993 die Geschäftsräume der Thyssen-Handelsunion in Düsseldorf und Berlin wegen des Verdachts der Untreue durchsucht. Doch das Verfahren wurde 1995 mit einem Vergleich eingestellt. Thyssen erklärte sich bereit, 89 Millionen Mark zurückzuzahlen: deutlich mehr als die 73 Millionen, um die nach heutiger Meinung der Staatsanwaltschaft die Treuhand geprellt wurde. Die BvS teilte deshalb schon am Donnerstag mit, für sie sei dieser Fall abgeschlossen. Sie war auch gestern nicht bereit, die über den zivilrechtlichen Vergleich hinausgehenden, strafrechtlichen Vorwürfe der Staatsanwälte zu kommentieren.

Die Beschuldigten selbst verstehen rein gar nichts mehr. „Insgesamt“, heißt es in der gestern veröffentlichten Erklärung der Thyssen AG, „erscheint das Vorgehen der Staatsanwaltschaft eklatant widersprüchlich“. Aber auch die Staatsanwälte scheinen ihrer Sache nicht sicher zu sein. Der Haftbefehl gegen den Konzernchef wurde sogleich außer Vollzug gesetzt, Vogel muß sich lediglich Auslandsreisen von der Polizei genehmigen lassen. Auch die anderen Beschuldigten sind auf freien Fuß, zum Teil gegen Kautionen von über zwei Millionen Mark. nh