Sachsens Stasi-Beauftragter im Zwielicht

Siegmar Faust muß sich mit einem Fall beschäftigen, den er selbst provozierte. Eine Lehrerin wurde IM, nachdem Faust sie durch Briefsendungen aus dem Westen kompromittierte  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Ute Brendel (54) aus Heidenau bei Dresden ist seit vergangenen Oktober arbeitslos. Das Oberschulamt Dresden kündigte der Deutsch- und Russischlehrerin kurz nach dem dreißigjährigen Dienstjubiläum. Sie ging vor Gericht, aber ihre Klage wurde im März dieses Jahres nach nur zehn Minuten Verhandlungszeit abgeschmettert.

Den Kündigungsgrund hat sie jetzt mit Brief und Siegel: Sie sei unter dem Namen „Monika Hauschild“ Handlangerin der Stasi gewesen, in den MfS-Akten als „IMK“ geführt. Zwar habe sie keine Berichte geschrieben, wohl aber – dies bedeutet „IMK“ – während ihrer Abwesenheit ein Zimmer ihrer Wohnung der Staatssicherheit für konspirative Treffs zur Verfügung gestellt.

Ute Brendel bestreitet nicht, daß sie ab Februar 1988 der Stasi einen Zweitschlüssel überließ. Aber sie behauptet, keine andere Wahl gehabt zu haben. Sie sei in etwa zehn Gesprächen ab Oktober 1987 von der Stasi wegen angeblicher Westkontakte unter Druck gesetzt worden. Für diese Argumentation hat sie jetzt einen prominenten Zeugen gefunden. Nämlich den Mann aus dem Westen, der, wie sie glaubt, ihr die Aufmerksamkeit der „Firma“ eingebracht hatte.

Er heißt Siegmar Faust und ist seit ein paar Wochen der neue Stasi-Landesbeauftragte von Sachsen. Es ist der Mann, den die sozialdemokratische Opposition im CDU-regierten sächsischen Landtag auf diesem Posten partout nicht haben wollte, weil er 1993, als ABM-Kraft beim Berliner Landesbeauftragten, ein Geldgeschenk angenommen hatte – von einer früheren KZ-Aufseherin, die als „Opfer des Stalinismus“ anerkannt worden war.

Jetzt kommt Faust schon wieder ins Gerede. „Ich bin benutzt worden“, so Ute Brendel zur taz. „Erst von Siegmar Faust und dann vom MfS.“ Faust kannte Brendel gut. Das ist der Grund des neuen Ärgers. Sie waren viele Jahre lang Nachbarn in Heidenau, damals, als Faust noch begeisterter DDR- Jungkommunist und SED-Anwärter gewesen war. Sie verloren sich aus den Augen, als Faust nach zwei Gefängnisaufenthalten wegen angeblicher „staatsfeindlicher Hetze“ 1976 von der Bundesrepublik freigekauft wurde und aus der DDR ausreisen konnte.

Im Westen veröffentlichte er diverse autobiographisch gefärbte Bücher, eines davon hieß „Ein jegliches hat sein Leid“. Es erschien 1984 im Berliner Klaus Guhl Verlag. Mit Sicherheit hat die „Firma“ alle Bücher des inzwischen zum wütenden Antikommunisten konvertierten Schriftstellers gelesen. Und mit Sicherheit auch das Vorwort. Darin wird von Schikanen der Stasi gegen Faust berichtet, von Zwangspsychiatrie, von Zwangsarbeit und von der Hoffnung, daß ihm Erfolg beschieden sei. Als Verfasserin dieses kenntnisreichen Textes ist eine Ute Brendel angegeben. Etwa die Ute Brendel, die immer noch in Heidenau lebte und arbeitete?

„Ich habe dieses Vorwort niemals geschrieben“, beteuert die Ute Brendel aus der DDR-Provinz. „Ich habe davon erst vor 14 Tagen von einem Reporter des Neuen Deutschlands erfahren.“ Völlig fassungslos sei sie gewesen, als sie den Text in den Händen hielt. Und erst jetzt erinnert sie sich, daß die Stasi bei ihrem ersten Hausbesuch beziehungsreich angemerkt hatte: „Wie interessant. Sie sind also die Frau, die den Siegmar Faust so gut kennt.“

Faust kann nicht bestreiten, daß eine Ute Brendel 1984 ein Vorwort geschrieben hat. „Aber es war eine andere Ute Brendel“ sagte er der taz, „eine „Französischlehrerin aus Elsaß-Lothringen, die ich während einer Tagung der Pfalz-Akademie kennengelernt habe.“ Wo sie heute wohne, wisse er nicht. Er habe sie nur einmal gesehen. Danach habe sie das Vorwort an den Verlag geschickt, und er habe nie wieder etwas von ihr gehört. An dieser Tatsache sei nichts Besonderes. „Schließlich habe ich insgesamt etwa zweitausend Vorträge gehalten und noch mehr Leute getroffen. Da kann ich mir nicht alle Adressen merken.“ Auf die Frage, ob er, der schließlich die Stasi- Observation am eigenen Leib erfahren mußte, nicht grob fahrlässig gegenüber seiner Jugendfreundin gehandelt habe, erwiderte er: „Nein, wieso denn? Für das Vorwort brauchte sich niemand zu schämen.“ Auch die Vermutung von Faust-Kennern, er selbst habe das Vorwort verfaßt, weist er zurück.

„Ich glaube, der Siegmar lügt“, sagt die arbeitslose Brendel aus Heidenau nach einem Gespräch mit dem zum Stasi-Landesbeauftragten beförderten Schriftsteller. Eine unbekannte Namensvetterin und „dann auch noch zufällig eine Lehrerin“, das sei schon „sehr merkwürdig“.

Merkwürdig ist auch Fausts spätere Fahrlässigkeit gegenüber der alten Freundin Brendel. Denn nach dem Erscheinen seiner Bücher im Westen und nachdem er immer öfter in der Presse zitiert worden war, wollte Faust seine Freunde im Osten an seinem Erfolg teilnehmen lassen. Er schickte Brendel drei Briefe mit seinen Zeitungsartikeln, die meisten sehr DDR-kritisch. Den ersten Packen erhielt sie Ende 1984 oder Anfang 1985, den zweiten irgendwann 1986 und den dritten im Oktober 1987. „Was mich damals besonders kränkte, war, daß in diesen Sendungen niemals ein persönlicher Gruß von Faust dabei war.“ Genau deshalb schloß sie die Möglichkeit einer gezielten Stasi-Provokation nicht aus und übergab die Zeitungsausschnitte zuerst ihrem Parteisekretär, später direkt der Stasi.

Ob es das merkwürdige Vorwort, die „Briefe“ von Faust oder deren Übergabe an die Stasi waren, die der Lehrerin die Hausbesuche der „Firma“ einbrachten, ist letztlich nicht zu klären.

Sicher ist jedenfalls, daß sie der intensiven Bearbeitung durch das MfS nicht standhielt und nach dem „etwa zehnten Gespräch“ die IMK-Verpflichtungserklärung unterschrieb. „Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte, ich war total verunsichert.“

Nachvollziehen kann dies der Hauptvorstand der Gewerkschaft GEW. Er hat sich jetzt bereit erklärt, die Kosten für ein Berufungsverfahren gegen das erstinstanzliche Kündigungsurteil zu übernehmen. Vermutlich im Herbst wird das Verfahren in die zweite Instanz gehen, der Rechtsanwalt ist optimistisch.

Siegmar Faust will in diesem Verfahren für sie ein gutes Wort einlegen. Das ist doch wenigstens etwas.