Netanjahu leistet Siedlern erste Hilfe

Israels neuer Regierungschef hat den Siedlungsstopp in den palästinensischen Gebieten aufgehoben. Jetzt sollen die ersten Häuser folgen. Palästinenser fürchten Zustände wie in Bosnien  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Israels Regierung hat den Weg frei gemacht für den Ausbau jüdischer Siedlungen in den palästinensischen Gebieten. Gestern bewilligte Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai die Errichtung von rund 300 Containerhäusern. Des weiteren soll die Prozedur für die Erteilung von Baubewilligungen für Siedler vereinfacht werden. Israels neuer Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud) hatte vor wenigen Tagen den unter der von der Arbeiterpartei geführten Regierung verhängten Baustopp für Siedlungen aufgehoben.

Die jetzt genehmigten 300 Fertighäuser wurden ursprünglich zur ersten Unterbringung von Neueinwanderern aus Äthiopien und der ehemaligen Sowjetunion verwendet. Jetzt sollen sie teilweise Schulklassen beherbergen und Teile der Schomron-Universität“ der im Westjordanland gelegenen Siedlung Ariel.

Gleichzeitig bewilligte der neue orthodoxe Innenminister Eli Suissa (Schass) umgerechnet mehr als fünf Millionen US-Dollar, um Siedler für „zusätzliche Auslagen“ zu entschädigen, die ihnen durch die Autonomieabkommen mit den Palästinensern entstanden seien. Bei einem Treffen mit Siedlern versprach Suissa, die Bautätigkeit in den besetzten Gebieten beschleunigt voranzutreiben. Die jetzt zur Verfügung gestellten Gelder seien „nur der Anfang“.

Die Siedler sehen in Suissa einen wichtigen Vertreter ihrer Anliegen. In seiner früheren Funktion als Direktor des Innenministeriums für den Bezirk Jerusalem tat er viel für die jüdische Besiedlung der arabischen Teile der Stadt. „Wir sind sehr zufrieden. Suissa ist unser Mann in der Regierung“, erklärte denn auch der stellvertretende Vorsitzende des „Rats der jüdischen Gemeinden in Judäa und Samaria“, Benni Kaschriel. Aber auch der neue stellvertretende Minister für Bauwesen, Meir Porusch (Orthodoxe), habe versprochen, die Bautätigkeit in den Siedlungen rasch voranzutreiben.

Während Suissas Treffen mit den Siedlern zerstörten die israelischen Besatzungsbehörden mit Hilfe von Militär und Polizei fünf palästinensische Häuser. Die in der Umgebung der im Westjordanland gelegenen Stadt Ramallah stehenden Wohnhäuser waren ohne Genehmigung der israelischen Behörden errichtet worden.

Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörden protestierten gestern erneut gegen die Siedlungspolitik der israelischen Regierung. Der Vorsitzende der Selbstverwaltung, PLO-Chef Jassir Arafat, sprach von einer „neuen Verletzung der zwischen Israel und den Palästinensern geschlossenen Abkommen“. Der Vorsitzende des palästinensischen Autonomierates, Abu Alaa – einer der Architekten der Osloer Abkommen –, verlangte von Arafat, die für diese Woche geplante Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Israel abzusagen. Die Gespräche sollten ausgesetzt werden, solange der Siedlungsbau nicht eingestellt werde. Der palästinensische Minister Saib Erekat erklärte, den palästinensischen Gebieten drohe ein „Konflikt ähnlich wie in Bosnien“.

Die israelische Siedlungstätigkeit beschränkt sich nicht auf die palästinensischen Gebiete: Gestern meldete die Zeitung Jediot Ahronot, in den letzten beiden Monaten seien 130 Siedlerfamilien in den Golan umgezogen, bis Ende August sollten 30 weitere Familien folgen. Der zu Syrien gehörende Golan ist israelisch besetzt. Syrien erklärt seine Rückgabe zur unabdingbaren Voraussetzung für einen Friedensvertrag. Netanjahu hatte als „Ausgleich“ für den Ausbau der Siedlungen in den palästinensischen Gebieten kürzlich angekündigt, er sei zu Konzessionen auf dem Golan bereit.

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