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Ich fixe, also bin ich

Stilvoll am Abgrund schillern: Danny Boyles „Trainspotting“  ■ Von Harald Fricke

Tam, tam, tam. Ein wenig wie Iggy Pop hat der von Ewan McGregor gespielte Renton in „Trainspotting“ das meiste schon hinter sich, bevor der Film die Jugend-Drogen-Sex-Maschine in Bewegung setzt. Auch er ist ein Überlebender, der die Welt mit großen Schritten nimmt, so wie Pop zur Zeit von „Lust for Life“ längst clean war und Stücke nicht mehr „Kill City“, sondern „Success“ hießen. 1996 wirkt das Schlamassel aus Beschaffungskriminalität und Äitsch-Party an den neuralgischen Punkten merkwürdig abgeglättet. Ich fixe, also bin ich. Der Rest muß halt ausgesessen werden. Lou Reed, New Wave oder Britpop wechseln sich im Hintergrund ab, während der kurzgeschorene Hipster-Delinquent erzählt, daß er sich entschieden hat, „mich nicht fürs Leben zu entscheiden“ (s. taz, 5. 7.). In der Folge sieht man ihn auf Heroin mal auf-, mal niedergehen, am Methadonprogramm scheitern und schließlich mit 16.000 Pfund in der Tasche zu Techno-Beats in den Mittelstand einziehen: „Ich freu' mich schon drauf, bald bin ich genau wie ihr.“ Die Erziehung, der Entzug, wie Malcolm MacDowell in „Clockwork Orange“ wird ein angry young man gesellschaftsfähig.

Trotzdem ist Renton keine Neuauflage von Jonny Rotten unter Ravern. Angenehm unaufgeregt klingt seine Stimme aus dem Off, während Kaufhausdetektive hinter ihm herrennen. Was immer danach an mißlichen Dingen mit aufgedunsenen Babies passiert oder in Alpträumen auf Turkey erscheint, stets schaukelt einen die vom Protagonisten abgetrennte, samtpfötchenhafte Stimme ein bißchen höher als die Handlung, lenkt ab, übertreibt oder weiß, daß die Sache am Ende niemals so schlimm kommt, wie es derweil aussieht. Als Erzähler versöhnt Renton den Zuschauer mit eben jener Figur, für die er spricht. Ganz und gar in den Kanälen des Pop zu Hause, muß man bei „Trainspotting“ selbst entscheiden, ob und wie sich wer mit wem identifiziert: der Sänger oder das Lied?

Diese Art verschobener Kommentar macht die Ereignisse nicht larger, nur stranger than life – obwohl die dazugehörige Story arg um Authentizität bemüht ist. Peinlich genau wurden für „Trainspotting“ Fix-Rituale unter Anleitung von Ex-Junkies geprobt, bis jeder Einstich saß. Zu Studienzwecken mußte sich das Team unter den einschlägigen Brücken von Glasgow herumtreiben, wie Ulrich Edels Mannschaft damals am Bahnhof Zoo. Die Perfektion hat allerdings auch gewisse Vorteile: Wenn ein Schuß neben die Vene geht, „kann das Gift nicht ins Blut gelangen. Es gärt und klumpt, bis sich Abszesse bilden, die operativ entfernt werden müssen“, erklärte ein Mitglied des Calton Athletic Drug Rehabilitation Centre in Glasgow, unter dessen Aufsicht „Trainspotting“ gedreht wurde. Gerade solche Zuspitzungen wollte man vermeiden: Opfer gibt es im britischen Politkino à la Leigh, Loach und Tim Roth bereits zur Genüge. Zeit für eine Comedy!

Vor drei Jahren hat Irvine Welsh, ein Ex-Junkie aus Edinburgh, seinen ersten Roman veröffentlicht. „Trainspotting“ (das Buch) faßt in diversen Episoden zusammen, wie man in einem ärmlichen Arbeitervorort names Leith zwischen Drogen, Mädchen, Plattenbauten und Erwachsenwerden pendelt, bis die Stütze alle ist oder der Stoff. Langeweile ist der Weg, und weniger Langeweile ist das Ziel. Das zumindest paßt in die Logik von Heroin, oder wie John Waters geantwortet hat, als er in Jay Lenos „Tonight Show“ auf „Trainspotting“ angesprochen wurde: „Alle Menschen haben sehr viele Probleme; wenn sie Drogen nehmen, haben sie nur noch eins.“ Das klingt lustig und ist vermutlich Konsens. Auch Spex sieht in der Jungsclique „unabhängige Abhängige“, deren „narkotisiertes Leben ein selbstbestimmtes ist“.

Nun versucht „Trainspotting“ (der Film) sein Publikum gerade nicht mit harten Fakten oder menschlichen Ungereimtheiten aus dem Junkie-Alltag zu verschrecken. Im Gegenteil. Regisseur Danny Boyle kommt vom Horrorgenre („Kleine Morde unter Freunden“) und will dort auch bleiben. Nach dem Erfolg seines Debüts hat man ihm die Regie für „Alien 4“ angeboten, „Trainspotting“ sieht er eher als Bindeglied zwischen „Ken Loach und Mad Max“. Daher ist das WG-Ambiente, die Disco und jede Toilette so künstlerisch zugeschmuddelt, daß man schnell weiß: von diesem Boden können die auf der Leinwand allein essen.

Die Mischform aus echter und artifizieller Drogenwirklichkeit spiegelt sich in den rasanten Bildern wider, die gegen die heroineigene Schlaffheit anlaufen. Boyle hat die Verfolgungsjagd zum Einstieg etwa nach einer Szene aus „A Hard Day's Night“ stellen lassen, wo die Beatles vor kreischenden Teenagern flüchten. Vielleicht erkennt man deshalb den Helden von „Trainspotting“ so rasch an. Selbst als er einem Auto vor die Motorhaube rennt, trägt er noch dieses schräg geschlitzte Lächeln von John Lennon.

Eine Alternative zu Splatter, Humor und Elend in Bacon-Farben ist der Kitsch. Diana, eine von Rentons One-night-Stands, steht morgens in Schuluniform am Frühstückstisch und will ihm beim Entziehen helfen. Der Kleindealer wird zärtlich „Mutter“ genannt, meist sacken die jungen Leute schäfchenweich nach hinten weg, wenn die Droge wirkt. Manchmal nimmt „Mutter“ sie auch in den Arm, wenn das Zittern kommt. Über den Markt hinter der Droge erfährt man wenig: Irgendwann stehen zwei russische Matrosen im Hafen und halten ein Zwei-Kilo- Päckchen in der Hand. „Der Film soll ein Publikum der 16- bis 25jährigen ansprechen, die im Gegensatz zu unseren Typen noch eine Menge Alternativen besitzen. Man kann sich aus dieser Position nicht auf eine Seite schlagen, egal ob nun in väterlich-verständnisvoller Weise oder moralisch und ablehnend“, so Boyle im Interview.

Seine eigene Haltung liegt wohl in der Coolness, mit der sich Boyle als begeistert zuschauender Dokumentarist stilisiert. Wenn Ewan McGregor berichtet, wie Boyle ihm fürs Rollenstudium Videos von „Taxi Driver“ oder „Quadrophenia“ zugesteckt hat, kann man sich einigermaßen vorstellen, daß der Regisseur, der in den achtziger Jahren an der Royal Shakespeare Company inszenierte, das alles selbst mühevoll aufholen mußte. Zwar wird „Trainspotting“ nach Larry Clarks „Kids“ wegen seiner Nähe zum Leben gefeiert, ohne daß man dessen Einfühlung aber in den Bildern wiederfindet. Gleichgültig wie in einem Clip für Drano- Werbung verschwindet die bräunliche Suppe aus der Spritze in den Arm, und eine oft und gerne beschriebene Tauchfahrt durchs Klo geht direkt ins Blau der Davidoff-Reklame über.

Als wollte „Trainspotting“ einen Schlußstrich unter Jugend im Film ziehen, parodieren sich Gewalt und Pädagogik im Kreisverkehr. Jeder ist Underground, Verlierer und Arschloch zugleich, so die schlichte Wahrheit, mit der sich Popkultur Richtung Pluralismus verabschiedet. Sick Boy (Jonny Lee Miller) sieht aus wie eine Fit-for-Fun-Variante von Kurt Cobain, lebt in einer Zeitblase aus alten James-Bond-Filmen und würde für einen Schuß den besten Freund beklauen; Tommy (Kevin McKidd) beginnt als mopsiges Kraftpaket mit Heroin, um als Aidsopfer im eigenen Müll zu verenden. Begbie (Robert Carlyle) nimmt zwar keine Drogen, dafür sticht er Leute ab und kehrt ständig den Bier-Prolo heraus; und Spud (Ewen Bremner) ist ein verwirrter Hasenfuß, der sich zudröhnt, ohne es recht genießen zu können. Wenn er Sex will, scheißt er aus Versehen das Bett voll. Man weiß nicht recht, ob der Film sich mit derartigen Zoten über seine Protagonisten lustig machen oder sich einfach nur am analen Charakter von Heroinkonsumenten abarbeiten will. Im Roman gibt es noch krassere Szenen, die John Hodge im Drehbuch weggelassen hat – schließlich soll der Film unzensiert auch in Amerika anlaufen.

Der „white trash“, den Larry Clark oder Mike Kelley ins Museum gehievt haben, nutzt sich nun bei Danny Boyle als Mode von selbst ab. Seine Junkies könnten ohne viel Gewese auch Models für Hennes & Mauritz abgeben. Was vom Britpop nach „Trainspotting“ übrigbleibt, sind Drogenwitze, die Lieder von Blur oder Pulp und ein paar Ressentiments gegenüber einem Staat, der dies alles nur aus eigener Schwäche duldet. Da ist auch Boyle dann hellwach: „In einer besseren Welt wäre Renton in der Lage, einiges zu leisten. Doch unser Sozialsystem gibt nur Leuten eine Chance, die sich anpassen – und zwar dem Medien- Pack.“

Irgendwann steht dieser Renton mit seinen Kumpels auf einer schottischen Wiese und brüllt ins gleiche Fahrwasser: „Wir sind enteignetes weißes Pack in einem Schottland voller enteignetem weißen Pack“. Dann gehen sie alle gemeinsam Heroin kaufen.

„Trainspotting“. Regie: Danny Boyle. Mit Ewan McGregor, Robert Carlyle u.a., GB 1995

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