Das Wissen der Menschheit

Alles, was auf dieser Welt auch nur im entferntesten interessant oder wissenswert ist, gibt es auch im Internet. Oder etwa nicht? Seit Al Gore die Metapher vom „Information Superhighway“ in die Welt gesetzt hat, wird überall fieberhaft daran gearbeitet, das gesamte Wissen der Menschheit zu digitalisieren, damit es online abgerufen werden kann. Schöne Idee, aber die Praxis ist wie Radio Eriwan: Im Prinzip ja.

Kürzlich bat mich eine Freundin, ihr ein paar „entwicklungspsychologische Fachartikel“ aus dem Internet zu holen. Klar, mach' ich, auch wenn ich von ihrem Gebiet etwa soviel verstehe wie eine BSE-Kuh vom Java-Programmieren. Kein Problem, schließlich gibt es Suchmaschinen, und bislang habe ich immer alles gefunden, wenngleich ich oft nach einer Stunde oder zwei vergessen hatte, wonach ich eigentlich suchte.

Aber das hier ist etwas anderes. Klar eingegrenzte Recherche nach wissenschaftlicher Literatur, hauptsächlich aus den USA, sogar ein paar Autorennamen gab sie mir. Die ersten Ergebnisse waren vielversprechend. Yale, Harvard und die Library of Congress – alles ehrenwerte Namen. Doch dann fing das Elend an. Bei näherem Hinklicken entpuppten sich die großartigen Angebote meist als dröger Verweis auf ein Buch, das in irgendeinem Regal der

Bibliothek steht. Von Abstracts oder gar Volltext-Recherche keine Spur, und der freundliche Hinweis auf die Yale-Parkplätze nützt mir nichts. Ich brauche das Zeug hier und jetzt, und zwar auf dem Bildschirm. Ich probier's mit Gopher – einer Einrichtung, die die Wissenschaftler ins WWW- Zeitalter hinübergerettet haben. Aber der Gopher katapultiert mich nach Australien, wo ich alles über die Sozialisation der Aborigines erfahre. Nett, aber nicht exakt das, was ich suche.

Dann entdecke ich schließlich einen Hinweis auf ein Datenbanksystem namens Orbis, das Texte des gesuchten Fachbereichs in voller Länge haben soll. Ich klicke drauf – und bekomme eine Fehlermeldung: „Telnet Client not found.“ Liebe Güte, was ist das denn? Das ist doch das System, mit dem Pontius Pilatus seinerzeit die Christen verfolgt hat. So etwas gibt es höchstens noch auf meinem Diskettenfriedhof. Nach nur einer Stunde ist das konfiguriert. Schwarzer Bildschirm und kryptische Kommandos, aber es funktioniert. Doch dann will das System wissen, ob ich auch berechtigt bin, und will meine Social Insurance Number. Ich gebe die Nummer der Künstlerkasse ein. Damit bin ich draußen und beschließe, die Freundin zu Kaffee und Käsekuchen in der Cafeteria der hiesigen Bibliothek einzuladen.