Pat Buchanan kriegt die Killerwal-Trophäe

Mit Multikulti, Babys und Luftballons gestaltet die Rechte den Parteitag der US-Republikaner  ■ Aus San Diego Andrea Böhm

Was macht ein Latex-Ingenieur auf dem Parteitag der Republikaner? Nicht das, was man vermutet. Sonst wäre er nicht auf dem Parteitag der Republikaner. Der stolze Moment der Latex- Ingenieure von San Diego kommt heute abend, wenn Tausende von roten, weißen und blauen Luftballons – mit Fachkenntnis aufgeblasen und unter der Decke des „Convention Center“ befestigt – auf die Delegierten herunterregnen. Das obligate Finale eines jeden Parteitags, wenn der Präsidentschaftskandidat die Nominierung angenommen und seine Rede gehalten hat. Das Ende einer perfekt inszenierten Show der Harmonie in einer Partei, in der – so scheint es – außer Bob Dole vor allem Frauen, Schwarze und Immigranten etwas zu sagen haben. Und was sie zu sagen haben, ist ihnen von den Parteitagsmanagern genau vorgeschrieben: Kein Wort über strittige Themen wie Abtreibung, Einwanderung, Waffenkontrolle oder affirmative action. Geboten wird der amerikanische Traum und die Freiheit als „Infomercial“.

Videospots in MTV-Länge wechseln sich mit fünfminütigen Redebeiträgen ab. In den Werbepausen der Fernsehsender gibt es Musik vom Band. Die knapp 2.000 Delegierten sind zu medialem Wohlverhalten angewiesen. Wer Babys oder Kleinkinder hat, soll sie mitbringen, damit statt angry white males auf Amerikas Bildschirmen Männer auftauchen, die Säuglinge wiegen.

Nach dem Debakel vor vier Jahren in Houston, auf dem der Schrecken des Partei-Establishments, Pat Buchanan, und der Fernsehprediger Pat Robertson zur besten Sendezeit den „Kulturkrieg“ gegen Feministinnen und Homosexuelle ausriefen, herrscht in San Diego totale Kontrolle und programmierte Euphorie. Wer die Spuren der bitteren parteiinternen Kämpfe finden will, muß sich auf den Weg machen zu den unzähligen Frühstückspressekonferenzen, den Mittagsempfängen, den Privatpartys. Oder in die „Free Speech Zone“ – auch „Protest- Parkplatz“ genannt. Dort lecken die einen ihre Wunden, während die anderen gewonnene Schlachten feiern.

In der Mittagshitze eilen an diesem Tag rund 200 Demonstranten, darunter viele Republikaner, in Richtung „Free Speech Zone“. In der St. Paul Episcopal Cathedral haben sie sich am Morgen interkonfessionell über die Niederlage hinweggetröstet, die ihnen die christliche Rechte in der Partei zugefügt hat: Die Forderung nach einem verfassungsrechtlichen Verbot der Abtreibung bleibt im Parteiprogramm. Die Aufforderung zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden innerhalb der Republikaner wurde wieder gestrichen.

Jetzt verteilt Anne Patton, 62jährige Pensionärin aus einer „durch und durch republikanischen Familie“, Aufkleber mit der Aufschrift „Yank the Plank“ – was in etwa bedeutet, das Parteiprogramm in den Müll zu werfen. Sie gehört zu einer Organisation republikanischer Frauen in San Diego, die meint, der Staat solle sich aus allen Entscheidungen seiner Bürger heraushalten – auch aus der der Frauen über einen Schwangerschaftsabbruch. „Die christliche Rechte“, schimpft sie, „will diese Gesellschaft in eine Theokratie verwandeln – und die Moderaten in der Partei kriegen den Hintern nicht hoch, um etwas dagegenzusetzen.“

Nicht einmal jetzt bleiben Anne Patton und ihre Mitstreiterinnen von ihren Gegnern verschont. Aus Cameron Corners im Landesinneren ist die Mitchell-Familie angereist: Vater, Mutter und drei Kinder mit fünf Transparenten, auf denen Abtreibung als todeswürdiges Verbrechen angeprangert wird. Tochter Sarah (16) hält ihres fest umklammert. „Abtreibung ist die Frucht von Amerikas sexuellen Sünden“ steht da zu lesen. „Wir bringen den Menschen die Wahrheit“, sagt sie und kämpft schweißgebadet gegen den Luftwiderstand. „Ich bin schon als kleines Kind demonstrieren gegangen.“ Der Vater hat seine Familie und ein paar Freunde in eine eigene Kirchengemeinde umfunktioniert, die Kinder aus der Schule genommen – und seine eigene „Brigade“ zum Kampf gegen den „Massenmord am ungeborenen Leben durch teuflische Frauen“ gegründet. Mit seiner bulligen Statur, Schnauzbart, glattrasiertem Kopf und verspiegelter Sonnenbrille marschiert er vorneweg und kündigt den Passanten per Megaphon den „Anmarsch blutrünstiger Babykiller“ an. Erst am Zaun der „Free Speech Zone“ muß er kehrtmachen. Denn den Protest-Parkplatz darf nur betreten, wer sein Recht auf Demonstrationsfreiheit vorher bei der Stadt reserviert hat.

Anne Patton und ihre MitstreiterInnen dürfen von 12.50 Uhr bis 13.45 Uhr in der „Free Speech Zone“ verweilen. Inzwischen reichlich entnervt von der Hitze und der Familie Mitchell, versammeln sie sich vor einem Podium, auf dem mehrere schwitzende Redner – darunter Republikaner und kirchliche Würdenträger – das Recht auf Abtreibung verteidigen. Hinter ihnen ragen zwei Verkehrsampeln empor, die um 13.45 Uhr auf Rot schalten. Dann wird automatisch das Mikrofon abgestellt. Vor dem Zaun wartet die „American Lung Association“ darauf, mit ihrer Kundgebung gegen das Rauchen beginnen zu dürfen.

Solchen Strapazen muß sich Sig Swanstrom nicht aussetzen. Im Innenhof des Horton-Grandhotels nippt er zwischen Sonnenschirmen und Rosenstöcken an einem Glas Eistee. Hotelkellner mit Namen wie Alfonso, Guillermo und Roberto huschen durch den Hof. Swanstrom schwärmt unterdessen vom belebenden Einfluß, den Immigranten auf die republikanische Partei ausüben. Gerade erst hat er sich mit einem Delegierten aus New York unterhalten, einem gebürtigen Inder, der sich über die Sozialhilfe-Bürokratie empört hat. Swanstrom ist Expolizist und Sohn schwedischer Einwanderer. Sein Vater war überzeugter Demokrat, und Sig wäre es wohl auch geblieben, hätte man ihn nicht 1976 als Leibwächter dem damaligen Präsidentschaftsbewerber Ronald Reagan zugeordnet. Die Begegnung mit „diesem Supermenschen“ ließ Swanstrom Junior konvertieren. Seinen Job als Polizist steckte er bald auf, um eine Computerfirma zu gründen.

Heute zählt der 45jährige zu den großzügigen Mäzenen der Republikaner – und zu den Anhängern des rechten Flügels, der per Verfassungsänderung das Verbot der Abtreibung durchsetzen will. Seine Geldspenden haben ihm die Mitgliedschaft im „President's Club“ eingetragen, was ihm wiederum den direkten Kontakt mit der Parteispitze beschert. Vorgestern war er zu einem Empfang mit Gingrich geladen – eine Belohnung für eine Spende von 5.000 Dollar. Gestern abend war es die große Gala der Republikaner. Einrittspreis: 1.000 Dollar.

Während im „Convention Center“ das Image einer konservativen Multikulti-Partei geboten wird, repräsentieren die exklusiven Gäste auf den Morgen- und Abendempfängen in San Diegos feinsten Adressen die Mehrheit der Parteitagsdelegierten. Die ist weiß, männlich, zwischen 45 und 64 Jahre alt und laut Umfrage von New York Times und CBS weitaus konservativer als die Basis und die Wählerschaft. Elf Prozent sind Mitglieder der „Christian Coalition“, 55 Prozent sympathisieren mit deren Zielen. Jeder fünfte Delegierte ist Millionär. Das trifft sich gut, denn das Parteitagsspektakel mit Feuerwerk, Strandpartys, Jachtausflügen und Golfturnieren kostet rund 25 Millionen Dollar. Die Hälfte wird aus Steuergeldern bezahlt. Den Rest finanziert die Partei mit den Schecks von treuen Unterstützern wie Sig Swanstrom oder Spenden von Großkonzernen wie General Motors.

Für den heutigen Nachmittag hat Swanstrom eine vergleichsweise preiswerte, aber erlesene Party auf dem Programm: Phyllis Schlafly, Vorsitzende des erzkonservativen „Eagle Forum“ und Großmutter der christlichen Rechten, hat zu einer Siegesfeier im Seaworld-Vergnügungspark geladen. Dort kann man den Killerwal Shamu sowie ein Heer von Delphinen und Haien besichtigen. Das gemeine Parteivolk ist zugelassen, sofern es 80 Dollar Eintritt für ein kaltes Buffet berappen kann. Ebenso die Presse, die von energischen Damen mit Lebensschützer- Cowboyhüten daran gehindert wird, auch nur eine Ananasscheibe oder warme Cola von den gedeckten Tischen zu klauen.

Geboten wird die Crème de la crème der christlichen Rechten: Gary Bauer vom „Family Research Council“, der im Frühjahr massiven Widerstand gegen eine Kandidatur Colin Powells angedroht hatte; Jerry Falwell, Gründer der „Moral Majority“, deren Adressenlisten in den späten 80er Jahren den Grundstein für die „Christian Coalition“ und ihren Führer Pat Robertson legten. Robertson verteilt Autogramme, während Ralph Reed, jungenhafter Direktor der „Christian Coalition“, Bussis von weiblichen Fans entgegennimmt. Unumstrittener Star ist Pat Buchanan, dem Schlafly eine Killerwal-Trophäe überreicht. Als Gegenleistung verspricht er, „nach dem Sieg über den Kommunismus nun das neue Reich des Teufels, die Abtreibungsindustrie, niederzuringen“. Die Menge dankt es mit einer Standing ovation. Sig Swanstrom klatscht, bis ihm die Hände weh tun. „Warum“, fragt er, „behaupten die Leute eigentlich immer, der Mann sei ein Extremist?“

Die „Seaworld“-Party geht rechtzeitig zu Ende, um wieder die Abendshow im „Convention Center“ zu verfolgen. Seinen großen Auftritt hat heute der schwarze Abgeordnete J. C. Watts aus Oklahoma. Höchst eloquent liefert der republikanische Nachwuchsstar die gewünschten Stichworte: Armut, harte Arbeit, Wille, Erfolg. Vier Blocks entfernt im ärmlichen Golden-West-Hotel hört sich das auch Gentry Lee Moore an, ein 57jähriger schwarzer Exmarinesoldat mit kaputtem rechtem Lungenflügel. In seinen besten Zeiten restaurierte er als Bauarbeiter das Haus von Nat King Cole. Heute zahlt ihm der Staat nach 34 Arbeitsjahren eine Behindertenrente von 700 Dollar, die Moore auf keinen Fall als Sozialhilfe mißverstanden wissen will. Lieber würde er sich noch die zweite Lungenhälfte ruinieren, als von welfare abhängig zu sein.

„Es lebt sich gut hier“, sagt Moore, sofern es sich von 700 Dollar im Monat gut leben läßt. Mit makellos gebügelten Billig-Jeans und Hemd sitzt er in der verblichenen Hotellobby und beobachtet die Parteitagsdelegierten, die auf der Fourth Avenue auf und ab laufen, nach Taxis winken oder ihre Handys aufklappen. Er wünscht sich, daß der Trubel bald vorbei ist, damit er von seinem alten Stuhl aus wieder in Ruhe jenen Punkt in der Geschichte rekonstruieren kann, an dem alles die falsche Wendung nahm. „Was hätte bloß aus diesem Land werden können“, sagt er und knetet seine dürren Finger, „wenn sie die Kennedys nicht erschossen hätten!“