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Inspiration, Transpiration

■ Großer Andrang zur Olga van Beek-Ausstellung / Helmut Schmidt und Lew Kopelew verhindert

„Eigentlich unverantwortlich“ nennt es Maria Anczykowski, Leiterin der Kunstsammlungen Böttcherstraße, wie die Menschen sich drängten, vorgestern abend zur Eröffnung der Ausstellung zum 100. Geburtstag von Olga Bontjes van Beek. Die Klimaanlage war hoffnungslos überlastet, die Geladenen, die dicht an dicht in den Museumsräumen den Laudationes lauschten, fächerten sich mit den Einladungen ein bißchen Frischluft zu. Doch der Schweiß rann trotzdem in Strömen, die Kunstsammlungen Böttcherstaße wurden zum Treibhaus, und die Gemälde von Paula Modersohn-Becker mußten es ausbaden. „Wir haben einfach keine Räume“, sagt Frau Anczykowski. Und so wurde eben geschwitzt für Olga Bontjes van Beek – und für Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Wenn Schmidt komme, ginge man schon mal zu einer Ausstellungseröffnung, war ab und an zu hören. Doch Schmidt, seit Jahrzehnten ein Freund der van Beeks, mußte aus gesundheitlichen Gründen seinen Besuch in Bremen kurzfristig absagen. Auch Lew Kopelew war der Familie freundschaftlich verbunden, hatte sein Kommen zugesagt – und war gleichfalls verhindert (vgl. Dokumentation).

Dafür kam, mit Gemahlin, Seine Exzellenz Stéphane Hessel aus Paris, der Sohn des Schriftstellers Franz Hessel. Stéphane Hessel, ebenfalls Mitglied des weitverzweigten Freundeskreises der van Beeks, überlebte das Konzentrationslager Buchenwald, weil er die Identität eines an Typhus gestorbenen Häftlings annahm. Später arbeitete er für die UNO, war lange Jahre französischer Botschafter. „Sanft geneigt und dabei stark wie Stahl in ihrer Suche nach dem Wahren, nach dem Würdigen“ nannte Hessel Olga Bontjes van Beek, eine „Hermes-Artige, ein Eröffner der Seele“ sei sie gewesen, Olga, „wir sagen zärtlicher Nona“. „Merci, Nona“ schloß Seine Exzellenz.

Auf die Worte, die Hessel in seinem ganz leicht a la française prononcierten Deutsch sprach, reagierte das Publikum mit starkem Applaus. So stark, daß die Hände, die sich nach den dürren Worten von Kultursenatorin Bringfriede Kahrs rührten, im Nachhinein ziemlich dürftig ausnahmen. Kahrs verwies auf die „politische Person“ Olga Bontjes van Beeks; in der Vahr gebe es ein Wandbild von ihr, in Achim sei ein Gymnasium nach ihr benannt, in Bremen ein Platz ...

Die Mienen der Kuratorinnen wurden immer ernster, die Blicke unruhiger: Lehnt schon jemand an den Bildern, schwitzen die Ölfarben bereits? Doch nach einer dreiviertel Stunde waren der Präliminarien genug. Man strömte entweder in die höheren Etagen zu den Bildern, Tonreliefs, Aquarellen und Plastiken Olga Bontjes van Beeks oder zum Sektglas auf die Museumsterrasse.

Eines der Aquarelle einer Wümmelandschaft – ein Lieblingsmotiv Olgas – trägt eine Bemerkung: Gemalt am „5.8.43, am Tage von Catos Hinrichtung“. Die Mutter überlebte die Tochter um 53 Jahre. Alexander Musik

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