Müde Theatersoße

■ Nach Klaus Pohls verfehltem Stück wartet schon das nächste: Peter Zadek inszeniert „Mondlicht“ im Thalia

Langsam scheinen drei Ären endgültig zu Ende zu gehen. Die Ära Zadek als vitaler Regisseur, der zu Erscheinungen und Fragen der Zeit etwas zu sagen hat, hat die Abenddämmerung offensichtlich bereits hinter sich, so daß nur noch der berühmte Name in Leuchtbuchstaben vor künstlerischer Nacht plärrt. Aber auch die Ära Jürgen Flimm als Intendant, der fähig ist, hervorragendes Theater an seinem Haus geschehen zu lassen, hat ihren Erlebnisort bereits seit vielen Monaten eher in der Krypta als im Glockenturm des Musentempels.

Mittelalte Handwerker, die vergangene Theatermoden umetikettieren, und Regiegreise, die kein Schlußwort finden, buhlen hier unten, von wo nichts mehr ins alltägliche Leben dringt, lauthals um die Befriedigung ihrer Eitelkeiten. Zwar ist das teuerste Argument, mit dem Jürgen Flimm die Stellung hält, der unbestrittene Zuschauererfolg des Hauses, aber, und damit wären wir bei der dritten, der vielleicht entscheidenden Epoche, die sich dem Ende zuzuneigen beginnt: Wer bei den letzten Premieren am Alstertor dem Applaus zuhörte, der mußte feststellen, daß die vielgepriesene Nibelungentreue des Publikums zu „seinem“ Thalia wohl doch nicht bis zum Untergang dauert.

Konnte der klischeehafte Klamauk der Menoza-Inszenierung noch den Lachmuskel des Parketts reizen, so blieb bei Klaus Pohls platter Journalisten-Skizze Zettel einigen Claqueuren die peinliche Arbeit gespielter Begeisterung vorbehalten. Daß aber bei einem so reichen Aufgebot an Theater- und Fernsehstars wie bei Pinters Mondlicht (Peter Zadek, Angela Winkler, Eva Mattes, Michael Degen, Dominique Horwitz, Johannes Silberschneider und Rolf Becker) der halbe Saal überhaupt nicht mehr klatscht, ist doch ein erfreuliches Zeichen von Demokratie, das uns zeigen könnte, daß in der Kunst - anders als in der Politik - der rein ökonomische Erfolg nicht die Begründung von Qualität darstellen kann; und vielleicht auch, daß ein Intendant nicht die Seßhaftigkeit eines Kanzlers nachahmen sollte.

Zum Stück gibt es dementsprechend nicht so viel zu sagen. Harold Pinters Szenencollage über einen sterbenden Patriarch, dem seine Nachkommenschaft die Aufwartung am weichen Bahnhof zur letzten Reise versagt, ist ein Gemisch aus Geplänkel und Geschwätz, das im ersteren Fall gelegentlich boulevardesk unterhält und im zweiten meist wie ein fades Echo einer Ulysses-Lektüre wirkt. Drei parallele Erzählstränge aus Erzähl- und Dialogfetzen unterschiedlicher literarischer Genres ergeben weder eine stimmige noch eine widerspenstige Komposition, die die Mühe erlauben würde, den Einzelteilen konzentriert zu folgen. Die absurde Unterhaltung zweier Brüder, deren Gegenstand stets penetrant absichtlich verrätselt bleibt, die orakelhafte Lyrik der geisthaften Schwester und das abgeklärte Quartettspiel zweier Eheleute mit ihren Erinnerungen ergibt zusammengerührt eine schrecklich müde Theatersoße ohne nährende Klopse.

Lediglich Angela Winkler zaubert, ruhig in der Mitte der Bühne thronend, etwas Welt herein, aus der hervorschimmert, daß es hier um irgendein Schicksal und nicht nur um irgendein Theater geht. Wobei man zur Ehrenrettung ihrer Kollegen allerdings hinzufügen muß, daß keiner der auf der Bühne Anwesenden den Eindruck erweckte, er sei besonders gefordert worden. Till Briegleb