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Gänse, die Schwäne spielen

Bildungsbeflissenheit und Hinterhof: „Lisbeth ist total zu“, ein Hochgeschwindigkeitsdrama von Armando Llamas, spielt im Ungefähren zwischen Mädchenpensionat und Hölle  ■ Von Gerd Hartmann

Pech auf der ganzen Linie. Erst wird das Ensemble kurz vor der Premiere nach einem gemeinsamen Wochenende Opfer eines Autounfalls. Dann erkrankt, beim zweiten Anlauf, auch noch kurzfristig eine Schaupielerin. Trotz alledem – mit anderthalbmonatiger Verspätung erblickte der Stükke neuestes Theaterkind vorgestern das Licht der Welt.

Es war mit Spannung erwartet worden, schließlich wurde doch im Vorfeld die Entdeckung eines europäischen Autors versprochen, der die ratlose Welt genauso scharfzüngig auseinandernimmt wie seine angloamerikanischen Kollegen David Greenspan und Brad Fraser. Deren Befindlichkeitsstudien aus dem Großstadtdschungel entdeckte das Stükke- Theater in den letzten Jahren für Deutschland. Die trivial-tiefen Hochgeschwindigkeitsdramen und ihre kongeniale Umsetzung durch den Stükke-Hausregisseur Donald Berkenhoff legen die Meßlatte für diese deutsche Erstaufführung ziemlich hoch.

Armando Llamas tut sich schwer, dagegen anzustinken. Der 36jährige spanische Übersetzer, Journalist, Dramaturg und Autor, mischt Bildungsbeflissenheit und Hinterhof zu einer wortgewaltig fäkalen Beschreibung des Weltenzustandes. Überall und nirgendwo hocken drei Frauen/Mädchen/ Greisinnen – ebenso jung wie alt wie alterslos – und warten auf gar nichts mehr, tun gar nichts mehr und wollen auch gar nichts mehr. Das Leben spielt sich nur noch im Kopf ab – „Bauhaus“ verordnen sich die abgebrochenen Grazien als Daseinsstil. Das heißt klare Linien, glatte Oberflächen, alles ganz cool.

Reden und Sex sind die beste Art, die Zeit totzuschlagen. Aus solchem Horror Vacui besteht diese absolut künstliche Nicht- Welt, irgendwo zwischen Mädchenpensionat und Hölle.

Bei den Stükken ist das eine weiße Plüschhöhle (Ausstattung: Birgit Remuss). Zwei Schaukeln baumeln in die kuschlige Leere. Das Innere einer Wolke könnte dieser Raum darstellen, aber genauso eine phantastische Eislandschaft oder den bizarren Playroom eines Luxuspuffs. Die drei unaufhörlich aneinander vorbei schnatternden Heroinen bewegen sich darin wie Gänse, die so tun als wären sie Schwäne. Ihre weißen Kleider haben mit Unschuld soviel zu tun wie Bauhaus mit Gelsenkirchener Barock. Lisbeth (Marina Schütz) – immer total zugedröhnt – sabbert böse Zukunftsvisionen, nachdem sie dem Gärtner den Arsch geleckt und ihn dann erschossen hat. Hermione (Marion Schaller) wackelt als Madonna- Marilyn-Girlie-Kopie durch die Präapokalypse. Und Winifred (Eva Maron) punkt mosernd dem Sinn der Existenz hinterher. Totale Äußerlichkeit sind alle drei Frauentypen. Die Gefühlstonleiter orgeln sie genauso routiniert rauf und runter, wie sie Poppers und Dildo benutzen. Damit traktieren sie den Gärtner, den Peter Perce als männliche Aufblaspuppe gibt, ein grienend geiler Schwanz vom Zeh vis zur Haarspitze. In den Figurenzeichnungen ist Thomas Reisingers Inszenierung am stärksten. Was die drei Schauspielerinnen aus ihren Posen-Geschöpfen herausholen, ist fulminant. Sie sind Walküren, Megären und frustrierte Mädchen zugleich – Puppen- Menschen ohne Persönlichkeit in schillernden Variationen. Ansonsten hilft der Regisseur seinem Autor nur wenig aus dem Kramladen der modischen Reizwörter heraus, wo er manisch herumwühlt. Llamas versucht surrealistisch überhöht die Innenwelten der Generation X aufeinanderstoßen zu lassen – Theorie versus praktischen Hedonismus, Mythos versus drögen Alltag, Sehnsucht versus Unfähigkeit zum Gefühl. Das ergibt ein mit Kalauern versetztes Agglomerat, dem das Bindemittel fehlt. Anstatt Schärfe diffuses Philosophie-Zapping im Arsch der Ideologien – amüsant, aber ein bißchen überladen.

„Lisbeth ist total zu“ von Armando Llamas, bis Mitte September, Fr. bis Mo., 21.00 Uhr, Stükke, Hasenheide 54, Kreuzberg

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