Wand und Boden
: Psychedelische Effekte mit Brustwarzen

■ Kunst in Berlin jetzt: pop mix, allgirls mix, Akt im Internet

Zur Eröffnung gab es stilechtes Popcorn, und die Bilder kannte man aus dem Kino, der Werbung oder dem Fleurop-Katalog. „pop mix/volume one“ ist vielleicht nicht direkt populär, aber doch durchschaubar. Wer nach Waren, Kult und klaren Zeichen sucht, findet unter jeder Oberfläche wild ausschwärmende Details.

Gabriele Basch malt hübsch leuchtende Schnittblumen, die eine sehr kaleidoskopisch schimmernde Tapete mit aufgesprühten Gebrauchslogos verdecken. Männlein trinken piktographisch versetzt im Kreis, eine Hand greift zum Mülleimer. Thomas Hauser überarbeitet hochkopierte Modeanzeigen, bis sich die Mädchen in dichte Farbschichten auflösen. Und Claudia Hart zeigt in ihrem Video „Face Dancing“ allerhand Grimassen, die ebenso schnell wie die Kolorierung mit jeder Kameraeinstellung wechseln: Ein roter Schrei, ein grummelndes Blau, im Hintergrund hört man die Künstlerin hysterische Baby-Lieder singen.

Zielsicher tippt die von Kathrin Becker zusammengestellte Show im NBK Bereiche an, deren Banalität einem mittlerweile wegen ihrer Sogwirkung unheimlich erscheint. Nach drei Stunden MTV werden die Gesichter auf dem Bildschirm plötzlich starr, und Blumen sind, aus der Nähe betrachtet, ohnehin mysteriös. Selbst Thomas Hauser spürt, daß Inszenierungen der Mode ein Bild eher auf den Punkt bringen, als es eine Malerei tut, die gegen das Medium arbeitet, „als wäre Kunst so etwas wie reine, unverfälschte menschliche Wahrnehmung“. Die Psychologie etwa liegt nicht im Wiedererkennen dessen, was abgebildet wird, sondern in dem Gespür dafür, wie es abgebildet wird.

So ist bei Hauser Farbe tatsächlich Schutzschicht und Schminke zugleich; Harts Maskenspiel geht auf Kindheitsängste zurück, die zwischen Clown und Serienmörder noch nicht trennen; und Gabriele Baschs „Paradiesgärtlein“ funktioniert als Serie wie eine Parallelwelt – ohne daß sich die Dinge regen, wenn man lang genug hinschaut.

Bis 22. 9., Di.–Fr. 12–18, Sa./So. 12–16 Uhr, Chausseestraße 128/129, Mitte

Bei allgirls ist dagegen alles real world, Raver wippen zu Karl- May-Hörspielen, und das Bier ist auch viel zu schnell ausgetrunken. Bleiben noch die Arbeiten der fünf KünstlerInnen, die der Schotte Dave Allen zur letzten Ausstellung in der Burgstraße 22 eingeladen hat (die Galerie muß schließen, weil der Hinterhof samt angrenzendem WMF-Club abgerissen wird). Offenbar geht es auch hier um Pop, aber um populären Pop.

Die sorgfältig zugehängte Wand mit bedruckten T-Shirts von Ross Sinclair zeigt alle möglichen Varianten, die sich aus Songtexten der letzten dreißig Jahre ergeben. Dave Allen hat für „Rock File“ einen Notizblock ausgelegt, damit geübtere Besucher die Gitarrenakkorde ihrer Lieblingslieder notieren können. Flora Neuwirth zeigt ein Video von eigens entworfenen Designerstühlen, die wiederum als Fernsehmobiliar vor dem Monitor stehen. Betty Stürmer hat ein Mischpult aufgebaut, damit jeder für 15 Minuten ein DJ sein kann. Und von Ross Sinclair hängt eine Reihe mit handgemalten Werbeschildern für Billigurlaubsreisen.

Der Impuls, die alltäglichen Begebenheiten aufzugreifen, ist dem von „pop mix“ ähnlich: Wer tanzt nicht, rockt nicht, reist nicht oder zieht gerade im Sommer gern mal was Leichtes an? Aber die randständigen Dinge der Kommunikation sind hier nicht mehr allzu fest mit Theorie vertäut. Schnell laufen Assoziationen zwischen Sex-Pistols-Slogans und Rucksacktourismus, bis man einigermaßen melancholisch darüber grübelt, wie unerreichbar weit beide Enden auf der Skala der Jugendkultur voneinander entfernt sind, wenn man sie verbinden will. Gehören Punk und Korfu überhaupt zusammen, wo es doch früher hieß „I don't want no holiday in the sun, I wanna go to the new Belsen?“ Ein bißchen paßt das Kombipaket zu „Trainspotting“, Ecstasy und Ich-Dilemma, wo der Ist-Zustand entweder gefeiert, zugespitzt oder eben ausgesessen wird. Mit Rücksicht auf Verluste: Irgendwann mixt ein DJ Kraftwerk und Propagandareden, bis jemand anderes eine neue Platte auflegt.

Bis 24.8., Do./Fr. 16–19, Sa. 12–15 Uhr

Ein Experiment ist das nicht. Wer die Zukunft sucht, schaut einfach ins Internet, denn „da ist gedacht worden“, wie der junge Mann mit der Fellmütze auf MTV immer erzählt. Mittlerweile findet man sich kaum noch zwischen den Homepages, Websites und Hauswurfsendungen zurecht, wo selbst die „Ruhrgas AG“ eine Eintragung hat, unter der man online Gratisprospekte über Flüssiggas anfordern kann.

Jetzt präsentiert sich auch ein „Arbeitskreis künstlerische Aktfotografie e.V.“ unter http://ww. Icf. De/aka im Internet. Erst erscheint eine Art Etruskergott, und dann kann man sich die Arbeiten von zehn Künstlern und zwei Künstlerinnen runterladen, die sich mit einem ordentlichen Browser recht hoch auflösen. Bei Stefan Müllers „Liza“ etwa sind die Sommersprossen auf dem Bildschirm zu erkennen, und Yvonne Liedkes Akt verwandelt sich von einer Schädeltomographie zum schummerigen Tänzer, wenn die vollen 272 Kilobyte übertragen sind.

Die ganze Spielerei ist sehr demokratisch, für Kommentare steht ein Gästebuch bereit. Bisher hat sich bloß Marcus Ewers gemeldet, der die hervortretenden Hände von Ricarda Dämmrich für „nen echten Knaller“ hält. Am weitesten aber wagt sich Heinz Gottwald mit Weddinger Fotostudio-Trash nach vorn. Er hat sein Modell in schwarzen Pumps an eine rotbeleuchtete Backsteinwand gestellt. Es ist die einzige volksnahe Reihe mit Pornographie, der Rest tendiert zu Handwerksfleiß im Nahbereich. Genau werden die Anweisungen aus der Fotoschule befolgt: Diverse Busen sind hinter körnigem Halbschatten versteckt, abstrakt spreizen sich bei Nilo del Guerra weibliche Pobacken, und Martin Ziegele sieht eine Menge Haare, wenn er an Akt denkt. Doch der Volkshochschulkurs findet eben im Netz statt, und da staunt man, wie die Brustwarzen bei Rolf Thomas plötzlich psychedelische Sixties-Effekte mit dem flimmernden Blau im Hintergrund bilden.

Stefan Müller, der die Homepage am 3. August eingerichtet hat, arbeitet übrigens am Lehrstuhl für Computerlinguistik der Humboldt-Universität und hat auch Zappa, Ostpunk und Screaming Jay Hawkins fotografiert. Sein Projekt ist nun Teil der „Internationalen Stadt“, die sonst noch Dead Chicken, Jim Avignon, Eva Grubinger oder Wolfgang Müllers Meisenknödeltests vertritt. Aber das erfährt man erst einige Links später.

Harald Fricke