Ich will! Ich muß! Ich kann!

Frauen tun sich schwer mit dem Reden in Betrieb und Öffentlichkeit. Der Besuch eines Rhetorikseminars. Auch ein Bildungsurlaub
■ Von Edith Kresta

Gehören Sie zu den Leiserednerinnen? Und wenn Sie sich bemühen, lauter zu sprechen, klingt Ihre Stimme dann leicht schrill? Kieksig? Geht Ihnen öfters die Puste aus, weil Sie zu hastig werden? Der Mythos von der schrillen, hysterischen Frauenstimme ist tief verankert. Ebenso tief sitzt die Angst bei Frauen, ihr Anliegen nicht überzeugend rüberzubringen, die Angst, nicht gehört zu werden.

„Besseres Reden kann auch von Damen erlernt werden“, weiß der Trainer Arnold Goentgen. Er bietet „Rhetorikseminare für Damen“ im Dorint Hotel Bad Neuenahr an. Durch seine langjährige Tätigkeit im Management eines Großbetriebs hat Arnold Goentgen gelernt: „Frauen sind spitze – leider nicht an der Spitze.“

Acht Frauen mit unterschiedlichsten Erwartungen, unterschiedlichstem Alter sitzen im Konferenzsaal des Dorint Hotels, und ein Mann: Arnold Goentgen, der Trainer. Selbstherrlich verspricht Goentgen den Frauen: „Ich gebe Ihnen Ihr Selbstbewußtsein, Ihr Selbstwertgefühl wieder.“ Kein bescheidenes Ziel, aber die wegweisenden Imperative an Goentgens Stelltafeln und Lernmappen sind stark und suggestiv: „Ich muß! Ich will! Ich kann!“ ist dort in großen Buchstaben zu lesen.

„Sie sind Hausfrau und Mutter? Hut ab!“ Goentgens erklärt jeder einzelnen nachdrücklich die Notwendigkeit des positiven Denkens über sich selbst. „Erst wenn man hundertprozentig von dem überzeugt ist, was man tut, hat man Erfolg.“ Bei vielen Männern scheint dieses Erfolgskonzept in der Tat aufzugehen. Oder besticht Ihr neuer Chef etwa durch Rhetorik? Ein Büchertisch mit eindeutigen Titeln zum Thema Erfolg, Karriere, Selbstbewußtsein und positivem Denken erweitert die optimierte Ich-Philosophie Goentgens. Carnegie, amerikanischer Autor seichter Erfolgspsychologie, läßt grüßen. In der Kaffeepause werden die Titel eifrig notiert.

Was für Herren im gehobenen Management regelmäßige, vom Betrieb bezahlte Pflicht ist, müssen andere in ihre Freizeit legen und teuer berappen. Und was dem Manager selbstverständlich ist, verhandeln Frauen meist nur hinter vorgehaltener Hand, „frau will sich ja keine Blöße geben“. Arnold Goentgen füllt eine Marktlücke aus, denn außer einigen Volkshochschulkursen gibt es kaum günstige Angebote, um besser reden zu lernen, gegen falsche Techniken, entlarvende Gesten und überflüssige Worte anzugehen: Rund 600 Mark kostet ein Wochenende mit zwei Übernachtungen und Halbpension im Dorint Hotel.

Nach der Einführung und dem Kennenlernen am Freitagabend gibt es am Samstag erst einmal Theorie. Diaprojektor, Folien und Stelltafeln hat der Trainer parat. Jede Folie enthält wenige, einprägsame Aussagesätze zur Selbstmotivation: „Ich muß reden, ich kann reden, ich will reden“ oder „Eine leicht dialektgeprägte Aussprache kann sehr charmant klingen“. Der Trainer spannt Folie nach Folie ein und referiert die kalenderspruchartigen Weisheiten. Auf jeden Fall überzeugt sein Redefluß als Alleinunterhalter. Seine Devise „Reden kann man nur durch reden lernen“ übt er ohne Unterlaß ein.

Die Frauen atmen auf, als es nachmittags endlich zur praktischen Übung geht. Nun kommt Spannung auf. Vor laufender Videokamera muß sich jede als Nachrichtensprecherin versuchen. Dann wird die Darbietung ausgewertet. Mimik, Gestik, Stimme und Sitzhaltung werden debattiert. Vorsichtige, konstruktive Kritik; jede kommt schließlich dran. Und merkt nun zum erstenmal, daß das Lächeln zu breit, die Kopfhaltung zu schräg oder die Arme zu verkrampft sind. Eine Konfrontation mit sich selbst, die vom Trainer viel Einfühlungsvermögen verlangt. Bei Arnold Goentgens gibt es nur einmal Tränen, die meisten Frauen sind recht robust, der ansonsten gesprächige Trainer mit Kritik und Lob sparsam. Zwischendrin werden Gedichte vorgetragen. Dann wieder Theorie: „Mit der Stimme kann man Stimmung machen“ und „Welche Vortragsweise erwartet der Zuhörer“. Nach acht Stunden Intensivseminar werden die Frauen mit einem Vortragsthema für den nächsten Tag entlassen.

Sonntagsreden. Alle haben trotz etlicher Gläser Ahrweins am Abend ihren Vortrag am nächsten Morgen bereit. Ihre Themen sind so unterschiedlich wie sie selbst: Die repräsentative Gattin, deren erklärtes Ziel es ist, gewandt die Geburtstagsansprache zu halten, spricht über „eine unvergeßliche Feier“; die Computerfachfrau im mittleren Management über „neue Entwicklungen in der EDV“; die Geschäftsfrau, aktive Vorsitzende im örtlichen Gesangverein, hat „Mein Hobby – der Gesang“ zum Thema; die Sekretärin aus Stuttgart trägt „Mein Beruf“ vor; die Kölnerin schließlich, die sich für die Bütt trainiert, preist „Mein Göln und seine Türme“.

Auf dem Rednerpult muß sich jede vor Publikum und Videokamera präsentieren. Lampenfieber, feuchte Hände, flatternde Stimmen. Die Frauen geben viel von sich her. Da triumphiert rheinischer Frohsinn in kölschem Platt, und schwäbischer Arbeitseifer gipfelt in „Ich bin die Seele der Firma“. Die Rednerinnen werden freundlich beklatscht. Bereits nach zwei Tagen ist die Atmosphäre offen und vertrauensvoll. Höfliche, gegenseitige Kritik der Frauen, die niemandem zu nahe tritt und die unterschiedlichen Erwartungen und Niveaus stehenläßt.

Abschließend bewerten die Frauen den Schnupperkurs Rhetorik. „Leider“, so eine Bauingenieurin, „wurde nicht auf die unterschiedlichen Verhaltensmuster von Mann und Frau, mit denen ich im Beruf ständig konfrontiert bin, eingegangen.“ Allgemeines Fazit: Die praktischen Übungen kamen zwischen den ausufernden Gemeinplätzen Goentgens zu kurz. Zeit, andere Verhaltensrepertoires einzuüben, blieb nicht. Doch irgend etwas zwischen „Seien Sie vielseitig“ und „Machen Sie genügend Pausen“ kann jede für sich gebrauchen. Und wenn es auch mit der Kommunikationslehre nicht weit her war, die Kommunikation untereinander war „nett“. Ein anregendes Wochenende. Immerhin.

Das Dorint Hotel Bad Neuenahr bietet mehrmals im Jahr Rhetorikseminare an: Am Dahliengarten, 53474 Bad Neuenahr, Telefon: 02641-895-0; Fax: 02641-895-834