Vorschule ist kein Kindergarten

Zwei Stunden Vorschule sollen in Hamburg bis 1998 den Rechtsanspruch auf Kindergartenplatz ersetzen / Verwaltungsgericht winkt ab  ■ Von Patricia Faller

„Wenn Ihr Kind die Vorschule besucht, muß es das Kindertagesheim verlassen“, hatte das Bezirksamt Nord den Eltern von Wiebke mitgeteilt. Denn eine „Doppelförderung“ sehe das Hamburgische Kindergartenplatzgesetz (KgPG) nicht vor. Das Verwaltungsgericht Hamburg entschied anders: Die Fünfjährige wird vorerst ihren Ganztagesplatz in einem Kindertagesheim in der Bachstraße behalten, obwohl sie seit Anfang August zwei Stunden täglich eine der 297 Hamburger Vorschulklassen besucht. Denn die Hamburger Vorschrift verstößt nach Auffassung der Richter gegen Bundesrecht „und dürfte damit nichtig sein“.

Bleibt die Entscheidung bestehen, wird die Stadt in Bedrängnis geraten, weil dann ihre 7425 Vorschulplätze nicht mehr als Kindergartenersatz anerkannt werden. Die Jugendbehörde ist jedoch entschlossen, das Hamburgische Gesetz zu verteidigen und will Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen. „Wir sind davon überzeugt“, so Behördensprecher Andreas Kuschnereit, „daß diese Entscheidung keinen Bestand haben wird“. Bislang seien ihm auch keine weiteren Klagen bekannt.

Um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle über dreijährigen Kinder erfüllen zu können, gilt in Hamburg seit Anfang des Jahres und bis zum 31. Dezember 1998 eine – finanziell entlastende – Sonderregelung: Danach soll der Kita-Anspruch auch durch einen Platz in einer Vorschulklasse erfüllt sein, selbst wenn dabei die im selben Gesetz vorgeschriebene Mindestförderung – vier Stunden an fünf Wochentagen – unterschritten wird, in Wiebkes Fall um zwei Stunden täglich. Dies sei „keine geeignete Alternative“ und mit geltendem Recht unvereinbar, befanden die Verwaltungsrichter.

Sie zeigten sich überzeugt, „daß in einem Hauptsacheverfahren nach einem entsprechenden Vorlagebeschluß das Bundesverfassungsgericht dies feststellen würde“. Sinn und Zweck des Gesetzes sei schließlich, die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit zu fördern. Mit vier Betreuungsstunden pro Tag lägen die Hamburger ohnehin „an der unteren Grenze des allgemein für erforderlich gehaltenen zeitlichen Mindestumfangs“, stellten die Richter fest.

Zwar gebe es keinen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz, Wiebke solle ihren aber dennoch behalten. Zum einen hätte das Bezirksamt Nord den Eltern keinen anderen Kindergartenplatz angeboten, was auch wenig sinnvoll wäre, da ihre Tochter das Kindertagesheim bereits seit Jahren besucht. Zum anderen hätten sich die Förderbedingungen nicht geändert: Wiebkes Eltern sind beide berufstätig. Die einzige Änderung stellt der Besuch der Vorschule dar.

Auch die Lösung, Wiebke könne auf den Vorschulplatz verzichten und dadurch wieder einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz erhalten, hielt das Gericht nicht für zulässig. Der Rechtsanspruch sei gerade „ohne Bedingungen“ zu erfüllen. Abgesehen davon sei dies eine „unzulässige und in ihr Recht auf Bildung sowie das Grundrecht der Eltern auf Erziehung ihres Kindes eingreifende Bedingung“.

Das Gericht verpflichtete die Hansestadt auf dem Wege einer einstweiligen Anordnung, Wiebke den Betreuungsplatz im Kindertagesheim auch weiterhin zu bewilligen. Denn bis zu einer endgültigen Entscheidung könnten Jahre vergehen, dann sei die Fünfjährige längst nicht mehr auf einen Kindergartenplatz angewiesen. Und keinem Elternteil sei zuzumuten, den Beruf aufzugeben, weil das Kind nur noch zwei Stunden täglich in der Vorschule betreut würde. Der Kommentar des Rechtsanwalts Rudolf von Bracken, der Wiebkes Eltern vertritt, zu der Entscheidung: „Wer klagt, gewinnt!“