Pop komm raus...
: Wetterfühlig

■ Alles im Dschungelfieber

Eine erstaunliche Novität dieses Popkomm-Jahrgangs ist die deutlich gestiegene Bereitschaft, sich auch im coolnessgewohnten Independent-Lager bei der Begrüßung die Hand zu schütteln. Als Wahlberliner ist man geneigt, diese an sich schöne Sitte als schleichende „Verostung“ zu deuten: Alle reden vom Wetter, wer weiß, wann der nächste Aufschwung kommt – ist da nicht jeder irgendwie Kumpel von Bischofferode?

Selbst bei den größeren Firmen hat sich eine Ästhetik der Baustelle breitgemacht. Die Hamburger Metronome etwa kommt als Containerdorf daher, in dem A&R-Manager, Promofrauen und Gäste gemeinsam nach Grundwasser graben. Der Cadillac ein paar Meter weiter ist straight outta Schrottplatz. WOM sieht sich selbst als wacklige Bretterbude, die außen mit schmutzigen Bildern plakatiert ist. Überhaupt der Trend zur Anal-/Oralerotik: Findige aus der Hauptstadt werben mit ihrer Idee eines Popo- Schönheitswettbewerbs („Das Original aus Berlin – Arsch 96“), und am Stand, der für den Sampler „Dicke Dinger“ wirbt, legen ein Sumo-Ringer und eine Busenkönigin Hand aneinander. Asignifikanter Haß spricht aus der T-Shirt-Kultur: „Ich möchte Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen“; „Hunde totmachen“; „Popkoma“, „Discriminate the next fashion sucker you meet“. Von vorn sehen die Träger alle wieder ziemlich nett aus.

Flucht, aber keinen echten Ausweg aus dem Dschungel der Impressionen bietet der Kongreßteil der Popkomm. Ein Panel über „Taktgeber“ (Herzschrittmacher?) der Branche verortet die Zukunft im Konzert aller nur möglichen Maßnahmen: Krisenfrüherkennung betreiben, „Multiplikatoren“ mobilisieren, die richtigen Lizenzen ziehen, „Riecher“ haben, Internet prophylaktisch zuscheißen.

Thomas Krüger, Ex-Jugendsenator von Berlin und dem Bartmörder von Bebra womöglich nur durch selbsttätige Abnahme seiner Ossi-Bürste entronnen, hält ein Plädoyer für die Einheit des Marktes, und Popkomm-Erfinder Dieter Gorny sagt den Satz des Tages: „Das ist eine virtuelle Diskussion, die wir hier führen.“

Stark anekdotisch auch die Veranstaltung, die mögliche Joint-ventures mit Japan erörtern soll. Katsumi Nishimura von der Firma „J Wave“ hält einen freundlich-stoischen Vortrag, der Außerordentliches in Aussicht stellt, aber vorerst scheint die deutsch-japanische Freundschaft an unerwarteten Culture clashs zu scheitern. Gorny-Spezi Goetz Elbertzhagen vom Musikverlag „Kick“ erzählt die Geschichte, wie er in Tokio einmal unangenehm aufgefallen ist, weil er es verabsäumte, nach dem Essen wohlig neben den Tisch zu spucken. Die Message: Das muß nicht sein! Diskutiert das alles vorab mit euren japanischen Partnern!

Und die mit Spannung erwartete, vom Spiegel veranstaltete Diskussion „Wie deutsch kann Pop sein?“ (taz vom 16.8.): Trotz der wenig glücklichen Formulierung eines hähnchenbraunen Managers, 40 Jahre nach Kriegsende müsse endlich mal Schluß sein mit dem Reden über die deutsche Vergangenheit, kommt deutlich raus, daß es sich bei der Forderung nach einer Quote im Kern nicht um Deutschtümelei, sondern um einen Verteilungskampf, genauer gesagt ein im Namen der Jugend geführtes Rückzugsgefecht der mittleren Deutschrocker-Generation handelt, dem schon deshalb wenig Chancen einzuräumen sind, weil selbst die Industrie großenteils nicht dahintersteht. Dirigistische Maßnahmen sind nämlich nicht nur unpopulär, sondern auch kapitalismusfremd. Das Ganze ist mehr eine Schulterklopfveranstaltung, in der aufgeschlossene Mediapartner sich gegenseitig versichern, man sei mit Deutschpop schon auf dem rechten Weg, es fehle halt nur noch an einigen Punkten die Lockerheit, dieses, äh, Fluidum und Savoir-vivre, das unsere französischen Nachbarn so auszeichnet.

Das ist eine Plattform, auf die selbst MC René als einziger Jugendlicher der Runde sich einswingen kann, und keiner ahnt, mit welch knapper Not die Protagonisten einem Anschlag entronnen sind.

Nur Minuten später nämlich werden wir im gallischen Dorf der Independentfirmen eines etwa 30jährigen Mannes im blauen Rollkragenpullover ansichtig, der ein Schild vor der Brust trägt: „Quote von 95 Prozent für Pop aus Bulgarien!“ Auf die genaueren Umstände seines Engagements angesprochen, entpuppt er sich als der Singer/Songwriter Knarf Rellöm (= Frank Möller) aus Hamburg, der zusammen mit den Goldenen Zitronen geplant hatte, den faschistoiden Typen auf dem Podium durch Kappen der Stromkabel die Tour zu vermasseln. Rellöm, der im übrigen ein ziemlich begnadeter Entertainer ist, zeigte sich enttäuscht, daß die Feiglinge von Zitronen in letzter Instanz unter fadenscheinigen Argumenten von der Tat Abstand nahmen. So konnte die Revolution mal wieder nicht stattfinden.

Tom „Che“ Groß