Ein bitterer Rückblick auf die bleiernen Fünfziger

■ Das Verbot der KPD vor vierzig Jahren war politisch falsch, rechtlich unhaltbar und verheerend in seinen Konsequenzen. Sein Schatten reicht bis zur Gegenwart

1956 – in der Bundesrepublik herrschte die bleierne, die Adenauer-Zeit. Die politischen Schlachten der Nachkriegszeit waren geschlagen. Am Juste-milieu des neuen Wohlstands zerschellten alle Versuche, gegen die Zauberformel „Keine Experimente“ anzugehen. Auf dem entpolitisierten Boden der politischen Mehrheitskultur gedieh nur eine Pflanze prächtig: die Angst vor dem Osten.

Als das Bundesverfassungsgericht August 1956 die KPD verbot, konnte von einer Gefährdung der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ durch die Kommunisten längst keine Rede mehr sein. Die KPD war ausgezehrt durch Mitgliederschwund wie durch die Verfolgung ihrer Aktivisten. Sie war durchsetzt von Agenten, gelähmt durch ihre Abhängigkeit von der SED. Wo sie noch kämpfte, war sie brav und gesetzestreu. Selbst den verbalen Radikalismus ihres „Programms der nationalen Wiedervereinigung“ hatte sie abgelegt. Der XX. Parteitag der sowjetischen Kommunisten 1956 samt Chruschtschows Stalin-Kritik zerrte an den ideologischen Grundfesten.

Daß nach vier Jahren des Zögerns und Abwartens das Verbotsurteil doch noch ausgesprochen wurde, kann nur verstehen, wer sich die antikommunistische Hysterie jener Jahre vergegenwärtigt. Schon vor dem Verbotsurteil konnte das Abonnement des Neuen Deutschland oder eine Reise nach Ostberlin ins Gefängnis führen. Nach dem Urteil war das Tor weit offen für die Verfolgung auch von Nichtkommunisten. Teilten sie politische Auffassungen der KPD, zum Beispiel zur Wiederbewaffnung, so standen sie sofort im Verdacht, eine Ersatzorganisation der aufgelösten Partei gebildet zu haben. Tausende von Kommunisten wurden nun für Taten verfolgt, die sie vor dem Verboturteil begangen hatten, womit das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot außer Kraft gesetzt wurde. Schließlich erklärte das Verfassungsgericht sogar ein Gesetz für legal, das nach 1949 aktiven Kommunisten Entschädigungsansprüche wegen des in der Nazi-Zeit erlittenen Unrechts versagte. Grund: Unwürdigkeit.

Das Verbot stützte sich allein auf die „Ziele“ der KPD, ihre revolutionäre Programmatik. Daß die KPD nach dem Parteien-Verbotsartikel des Grundgesetzes „darauf ausgehen“ mußte, „die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“, war für das Gericht kein Problem: „Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, daß sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zeit werde verwirklichen können.“ Indem das Gericht Teilziele und Endziele der Kommunisten zu einem Gesamtplan fusionierte, verdoppelte es lediglich die Selbsttäuschung der KPD, der „Tageskampf“ sei eine Form des „Herankommens“ an die Revolution. Mit der Realität hatte beides nichts zu tun.

Der Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes, auf den sich das Verfassungsgericht bei seinem Urteil stützte, war von den Vätern des Grundgesetzes in der Hoffnung beschlossen worden, „aus den Fehlern von Weimar zu lernen“ und den Feinden der Demokratie rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Damit hatte ein Irrtum bei der Geburt des Artikels Pate gestanden. Denn die Weimarer Republik war nicht an fehlenden Schutzvorschriften zugrunde gegangen, sondern am Unwillen der Machteliten, sie zu verteidigen. Die Möglichkeit des Parteienverbots wie auch die Artikel zum Vereinsverbot und zum Entzug von Grundrechten erzeugten ein Dilemma: Konnte man die Freiheit schützen durch Maßnahmen, die die Gefahr ihrer Abschaffung heraufbeschworen? Aus diesem Dilemma hätte es einen möglichen Ausweg gegeben – eine strikt restriktive Handhabung, die stets vom Vorrang der zivilen Öffentlichkeit bei der Verteidigung der Demokratie ausgeht.

Die Verfassungsrichter beschritten genau den entgegengesetzten Weg. Sie konstruierten eine der Verfassung vorgegebene, statische „Wertordnung“, statt von einem dynamischen Wertwandel, von der Offenheit der Verfassung für neue Problemlagen innerhalb der Demokratie auszugehen. Sie synthetisierten die einzelnen Bestimmungen des rechtlichen Verfassungsschutzes zum Begriff der „streitbaren Demokratie“, den das Grundgesetz überhaupt nicht kennt. Diese „streitbare Demokratie“ wurde zum Maßstab, an dem die Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen war. Ein Rechtsbegriff außerhalb des Grundgesetzes wurde geschaffen, in dessen trübem Licht alles geprüft und für gut befunden wurde – vom Verbot der antimilitaristischen Agitation in der Bundeswehr bis zu den Berufsverboten. Unter der Hand wandelte sich ein Instrument der defensiven Gefahrenabwehr zu einer generellen Anforderung, sich gefälligst verfassungskonform zu verhalten.

In der Form der DKP ist 1969 die KPD faktisch wieder legalisiert worden, gegen die linksradikalen Organisationen der 70er Jahre wurde ein Verbot nie ernsthaft erwogen, selbst das Konstrukt der „streitbaren Demokratie“ scheint außer Kurs geraten zu sein. Wer aber sagt uns, daß sie unter veränderten politischen Verhältnissen nicht wieder aufgekocht wird – etwa gegenüber der PDS? Mit einem selbstzufriedenen Rückblick auf die „bleierne Zeit“ der Fünfziger ist es deshalb keineswegs getan. Christian Semler