Künstliches Erdbeben vor Portugal

Erdbebenforscher wollen im Atlantik vor der portugiesischen Küste 20 Tonnen TNT hochgehen lassen. Das Projekt wird von der EU bezahlt, Kritiker befürchten Umweltschäden  ■ Aus Lissabon Theo Pischke

Das Projekt heißt „Combo“ und soll die Erde zum Zittern bringen. Combo steht für „Core-Mantel Boundary“ (Kern-Mantel- Grenze). Und Geophysiker aus Portugal, Irland, England und Deutschland wollen mit Combo mehr erfahren über die bisher kaum erforschte Grenze zwischen dem Kern der Erde und ihrem Mantel. Zu diesem Zweck wollen sie vor der portugiesischen Atlantikküste, 50 Kilometer von Portugals zweitgrößter Stadt Porto entfernt, in 500 Metern Tiefe 20 Tonnen TNT zur Explosion bringen.

Die Folge wäre ein künstliches Erdbeben mit einer Stärke von 4,8 auf der Richterskala. Die Combo- Forscher versprechen sich von dem Experiment im Meer neue Erkenntnisse für die Erforschung von Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Ein Teil der durch die Explosion ausgelösten seismologischen Wellen soll erstmals in der Erdbebenforschung die Erdkruste, den inneren und äußeren Mantel sowie den inneren und äußeren Kern der Erde durchlaufen und am anderen Ende der Welt, in Neuseeland, aufgefangen werden.

Erosion der Küste und Massensterben der Fische

Ein anderer Teil der Druckwellen soll vom äußeren Kern reflektiert werden. Insgesamt 5.000 seismologische Stationen rund um die Welt sollen die Wellen registrieren. „Eine Röntgenaufnahme vom Inneren der Erde“, nennt das Miguel Miranda, Geophysiker an der Lissabonner Universität. Ein leichtes Zittern der Fensterläden – mehr würden die Einwohner von Porto nicht merken von dem künstlichen Beben, versichern die Combo-Forscher. Und gerade für das erdbebengefährdete Portugal sei der Versuch wichtig. „Es wird überhaupt keine Schäden geben“, sagt Luis Mendes Victor, der seit 40 Jahren Erdbebenforschung betreibt.

Mag sein, daß er recht hat, was die Häuser und Menschen an Land betrifft. Doch Umweltschützer halten das von der EU mit rund 770.000 Mark finanzierte Experiment nicht für so harmlos. Und auch unter Geophysikern ist es nicht unumstritten. Der Leiter des Instituts für Geophysik der Universität Porto, Joao Montenegro, befürchtet, daß ein künstliches Erdbeben die Erosion der Küste verschlimmert.

Die Regierung führt Testexplosionen durch

Vasco Garcia, Professor für angewandte Ökologie und Rektor der Universität der Azoren, rät ebenfalls zur Vorsicht: „Die Explosion würde das Ökosystem im Meer empfindlich stören.“ Sie könne Hunderte von Tonnen toter Fische zur Folge haben.

Auch die Bürgermeister der neun Städte im Großraum Porto halten das künstliche Erdbeben für zu gefährlich. Solche Argumente haben inzwischen die Regierung in Lissabon beeindruckt, die beim Combo-Experiment das letzte Wort hat. Sie legte das Projekt vorerst auf Eis. Bevor sie den großen Knall erlaubt, will sie im Herbst zwei Explosionstests mit je einer Tonne TNT machen lassen. Erst danach will sie über Combo entscheiden. Zugleich sicherte sie eine vollständige Information der Öffentlichkeit zu. Portugiesische Zeitungen hatten wiederholt die „Geheimnistuerei“ beklagt, die das geplante Experiment umgebe.