■ Nordrhein-Westfalen: HBV-Warnstreiks im Einzelhandel
: Abgründe der Flexibilisierung

Schlechte Aussichten für verliebte Verkäuferinnen und Verkäufer: Wenn sie mit den verlängerten Öffnungszeiten im Einzelhandel flexibler arbeiten müssen, sehen sie ihre Liebsten später. Je stärker sich die Arbeitszeiten der Menschen im Lauf eines Monats ändern, desto weniger überlappen sich schließlich die Freizeiten der einzelnen. Eine nervige Angewohnheit aus dem StudentInnenmilieu droht damit auf die Arbeitswelt überzugreifen. Anstatt sich konkret zu verabreden, versichern sich alle gegenseitig: „Wir telefonieren noch mal.“ Wenigstens die Chefs der Telekom wird das freuen.

Die Gewerkschaft HBV versucht, die Niederlage bei der Flexibilisierung der Ladenschlußzeiten in einen Sieg beim Arbeitszeitmodell umzumodeln. In Rheinland-Pfalz wurde vereinbart, daß die 20 Prozent Lohnzuschlag für die Arbeit am Abend und am langen Samstag vorrangig in Freizeit abgegolten werden. Wer also an einem Tag 90 Minuten länger arbeitet, erhält dafür 90 Minuten plus 20 Prozent frei – macht eine gute Stunde mehr pro Woche. Das soll dann zu langen Wochenenden kombiniert werden.

Ginge die Rechnung der HBV auf, würden sogar Leute neu eingestellt werden, weil die Wochenarbeitszeiten der bisher Beschäftigten unterm Strich kürzer würden. Neue Angestellte aber kosten die Arbeitgeber Geld. Deshalb dürften die Einzelhandelschefs zäh um jedes Prozent Zuschlag feilschen. Das weiß auch die HBV, die ihre Kasse durch kleine Nadelstichstreiks in vier Bundesländern schont.

Dabei sind beide Seiten in einer dummen Situation. Bei der derzeitigen Konkurrenz und lahmendem Konsum könnten die Mehrkosten für neue Beschäftigte kaum an die Verbraucher weitergegeben werden. Und bei den Profitmargen werden die Konzernchefs keine Abstriche machen. Also müssen die Geschäfte später öffnen – die Ladenöffnungszeiten wären damit nicht länger, sondern nur später. Oder die ohnehin gestreßten Beschäftigten werden gezwungen, die längeren Öffnungszeiten mit dem gleichen Personal wie bisher am Laufen halten. Dann wären sie wohl zu kaputt, um die langen Wochenenden mit der Dame oder dem Herrn ihres Herzens zu genießen. Reiner Metzger