■ Statt die Mehrwertsteuer anzuheben, kommt es darauf an, das System der Einkommensbesteuerung zu reformieren
: Bedrohung der Geldwertstabilität

In überraschender Übereinstimmung mit dem bayerischen Finanzminister hat kürzlich die grüne Bundestagsfraktion neben der Senkung des Eingangssteuersatzes auf 20 Prozent auch die des Spitzensteuersatzes auf 40 Prozent vorgeschlagen. Sämtliche Ideen in der Debatte um die Staatsfinanzen hinterlassen eine Fülle offener Fragen. Im Falle der eben genannten Vorschläge müßte es heißen: Wie sollen die dadurch ausgelösten öffentlichen Einnahmeausfälle von über 100 Milliarden Mark gegenfinanziert werden? Niemand geht ernsthaft davon aus, daß in diesem Ausmaß auch die Staatsausgaben gesenkt werden können.

In erster Linie, doch viel zu schwammig, wird die Streichung von Steuervorteilen gefordert. Deshalb konzentrieren sich viele Vorschläge auf eine kräftige Erhöhung der Mehrwertsteuer, um den Verlust an Einkommensteuer zu kompensieren. Der Bundeskanzler hat just diesen Tausch für 1999 in Aussicht gestellt.

Der jüngste Vorschlag der grünen Bundestagsfraktion setzt noch einen drauf. Auch Einnahmen aus künftigen Ökosteuern sollten zur Senkung der Einkommensteuer genutzt werden. Welche Bedeutung kommt der Anhebung der Mehrwertbesteuerung zu?

Die Mehrwertsteuer ist die wichtigste indirekte Steuer. Sie ist so konstruiert, daß sie im Prinzip vom privaten Endverbraucher aufgebracht wird. Diese heimliche, weil für den Verbraucher nicht sichtbare Steuer schlägt sich in höheren Preisen auf die Güter und Dienstleistungen der privaten Haushalte nieder. Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer ist deshalb aus mehreren Gründen abzulehnen.

Konjunkturell führt die Mehrwertsteuererhöhung zu einer weiteren Belastung des privaten Konsums. Im Prinzip wird durch den Vorsteuerabzug die Mehrwertsteuer auf die Preise des Endverbrauchs überwälzt. Bei einer Erhöhung des Normalsteuersatzes um ein Prozent nimmt der Preisindex der Lebenshaltung um etwa 0,8 Prozent zu. Damit wird das Ziel, die Geldwertstabilität zu sichern, belastet.

Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer sinkt ab einem monatlich verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Höhe von etwa 6.000 Mark die relative Belastung, weil der Anteil der Konsumausgaben zugunsten der Vermögensbildung zurückgeht. Die Tatsache, daß existenznotwendige Güter und Dienstleistungen überhaupt nicht beziehungsweise mit 7 Prozent besteuert werden (Nullbesteuerung: ärztliche Dienstleistungen; 7 Prozent: Lebensmittel, Bücher), wirkt allerdings bei unteren Einkommensgruppen der Belastung des nahezu ausschließlich für Konsumzwecke genutzten Einkommens entgegen.

Durch das Ziel, die staatlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung zur Gegenfinanzierung der geplanten Senkung direkter Steuern – insbesondere des Spitzensteuersatzes bei der Besteuerung von Einkommen und Gewinnen der Kapitalgesellschaften – zu nutzen, wird im Trend die Steuerbelastung der konsumtiv verwendeten Masseneinkommen zugunsten der Spitzenverdiener ausgeweitet.

Wenn die geplante Abschaffung der Vermögensteuer und des Solidaritätsbeitrags realisiert werden, beträgt der Anteil der direkten Steuern 51 Prozent, der Anteil der indirekten Steuern 47 Prozent. Die Zielvorgabe des Bundeskanzlers (50 Prozent zu 50 Prozent) wäre erreicht.

Mit Blick auf den EU-Binnenmarkt und die Währungsunion gibt es – entgegen der Behauptung des Deutschen Industrie- und Handelstages – keinen Grund, den normalen Mehrwertsteuersatz auf 17 Prozent anzuheben. Das derzeit geltende, allerdings provisorische Mehrwertsteuerregime der EU sorgt beim Warenexport über das Bestimmungslandprinzip dafür, daß den einzelnen Ländern trotz unterschiedlicher Steuersätze keine Wettbewerbsnachteile entstehen.

Anstatt den Normalsatz der Mehrwertsteuer zu erhöhen, ergeben sich folgende Anforderungen: Eine aufkommensneutrale Reform der Einkommensbesteuerung ist dringend geboten. Der Eingangssteuersatz von derzeit 25,9 Prozent sollte auf unter 20 Prozent gesenkt werden. Damit ließe sich die derzeit hohe Belastung der Lohnsteuerzahler und damit der Marsch in den Lohnsteuerstaat bremsen. Aus verteilungspolitischen Gründen ist es jedoch nicht akzeptabel, auch den Spitzensteuersatz von derzeit 53 Prozent (47 Prozent bei Gewerbeeinkommen) zu senken. Die Reform der Einkommensteuer muß wieder das Leistungsfähigkeitsprinzip in Kraft setzen.

Die Umverteilung der Steuerlast auf die Mehrwertsteuer höhlt den verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit aus. Das Prinzip besagt: Wer über eine höhere Leistungsfähigkeit verfügt, dessen Opfer zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben muß auch größer ausfallen. Deshalb sollte die Besteuerung der Vermögen, durch die sich eine zusätzliche Leistungsfähigkeit begründet, nicht abgeschafft, sondern reformiert werden.

Das „Jahressteuergesetz 1997“ sieht vor, als Gegenleistung für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die Gemeinden künftig zusammen mit dem Bund und den Ländern an der Umsatzsteuer zu beteiligen. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist sinnvoll, denn derzeit muß sie auch in Verlustzeiten aufgebracht werden. Empfohlen wird eine reformierte Gewerbesteuer als eigenständige Einnahmequelle der Gemeinden, die an der kommunalen Wertschöpfung des Gewerbes und der Dienstleistungsanbieter ansetzt.

Zweifellos ist es richtig, die Sozialversicherungsabgaben zu senken. Es war von Anfang an falsch, öffentliche Aufgaben der deutschen Einigung über die Gruppe der Beitragszahler zu finanzieren. In der Anfangsphase könnten öffentliche Einnahmen aus der Energiebesteuerung zumindest zum Teil zur Senkung der Abgaben für die Sozialversicherung genutzt werden.

Damit sollte jedoch eine Reform der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme in Richtung Bürgergeld nicht verbaut werden. Rudolf Hickel