Der Barbier von Bebra (15)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Aus Protest gegen den Bartmörder sind in Greiz Tausende in den Hungerstreik getreten.

„Garstige Worte stricken subversive Gemütlichkeit“, murrte Lutz. Doch auch er wurde von der Welle der Solidarität überwältigt, die aus der ganzen verkrebsten Umgebung auf Greiz einschäumte und überm Busbahnhof zusammenschlug.

Das Greizer Beispiel machte blitzartig Schule. Überall im Osten traten couragierte Bürger in den Ausstand. In Heimarbeit wurden Galgenbäume für den Bartmörder errichtet. Mit Fürbittgottesdiensten, Mahnwachen und Fackelzügen stachelte man einander auf. In Wittenberg sauste Friedrich Schorlemmer aus dem Haus und nagelte ein Pergament mit 95 Thesen an die Tür der Schloßkirche. Auf diese Chance hatte er sein ganzes Leben lang gewartet. Vor Aufregung haute er sich die Daumen blau. Doch den rechten Glauben des Pastors konnten auch seine zwei linken Hände nicht brechen. Schmerzgekrümmt, aber stolz und glücklich, ließ er schließlich den Hammer fallen. „Auf dem Regenbogen tanzen die Völker“, stand nun an der Tür zu lesen, aber auch: „Meine Angst ist deine Angst. Eure Angst ist unsere Angst. Der Angstfriede ist am Ende.“ Schorles Lieblingsthese lautete: „Feiern wir die Zärtlichkeit, die ein Kind braucht, und die Zärtlichkeit, die ein Kind schenkt, und gewinnen wir und behalten wir den Mut, sanft zu sein, den Mut zur Sanftmut. Bumsfallera!“

Doch das Zentrum des Widerstands blieb Greiz. Selbst Stefanie Hertel, Borbel Bähley und Regine Hildebrandt hatten inzwischen die Heringe ihrer Campingzelte in den Asphalt des Busbahnhofs gedonnert.

Der Bürgermeister hatte dem Streikkomitee seinen alten Volksempfänger zur Verfügung gestellt, damit der Nachrichtenfluß nicht ins Stocken geriet. Im Deutschlandradio hörten Freya, Günter, Lutz und der Fitti, in ihre nassen Schlafsäcke gewickelt, Kommissarin Gisela Güzel sagen: „Der Mörder ist nicht immer der Gärtner, manchmal ist es auch der Friseur.“

„Das ist menschenverachtend!“ hupte Freya und ließ das Radio von stämmigen Fernfahrern zerstören. „Ab morgen wird noch radikaler gehungert!“

Lutz schlotterte vor Kohldampf. Diese Kommissarin, dachte er, war gemein, aber sie hatte eine bezaubernd schöne Stimme. Das war ja fast schon Musik! Er könnte sie vielleicht unter vier Augen in Berlin um Personenschutz bitten. Um Lutzpersonenschutz. Genau!

Mit knurrendem Magen schlich Lutz sich fort.

*

Mitten in Wilmersdorf stand Mirko Pril als Sandwichmann, nur mit Socken bekleidet, so, wie Kommissar Hunter es ihm befohlen hatte, und bewegte sich langsam die Pariser Straße hinunter. Auf den Tafeln, die er sich umgehängt hatte, stand in großen Lettern:

I C H

H A S S E

A L L E

W I T W E N !

Special Agent Pril, hämmerte es in seinem Schädel. Es ging um alles oder nichts. „Wir wollen die Butter-Lindner-Bande fangen“, hatte Kommissar Hunter ihm eingeschärft. „Und Sie machen den Lockvogel!“

Mehr wußte Pril nicht, aber er war wild entschlossen, sich zu rehabilitieren. Dafür war Wilmersdorf gerade richtig. Das härteste Pflaster der Welt. Schlimmer als Harlem.

„Petze, Petze ging in' Laden, wollt für'n Groschen Petze haben“, tirilierten ein paar Gören, die den sonderbar kostümierten Mann entdeckt hatten. Sie faßten sich bei den Händen und liefen im Kreis um ihn herum. „Petze, Petze gibt es nicht, Petze, Petze ärgert sich!“

„Schert euch weg“, ätzte Pril. „Das ist eine Polizeiaktion!“

Die Kinder lachten sich kaputt und piepsten weiter: „Ärgert sich die ganze Nacht, hat vor Schreck ins Bett gemacht!“

Fortsetzung folgt

Erscheint im Herbst bei Edition Nautilus