Eigenes Leben – eigenes Haar

Methoden permanenter Selbsterfindung: Sonniges, gefährliches oder Altes-Geld-Blond – „Big Hair“, Grant McCrackens Reise in die postmoderne Welt furchtloser Friseure  ■ Von Brigitte Werneburg

Cynthia hat kräftiges, blondes Haar. Vielleicht ist es etwas zu blond. Das fällt selbst Grant McCracken, dem Ethnologen aus Toronto, auf, der seine Feldforschung auf einem akademisch bislang völlig unerschlossenen Gebiet betreibt, nämlich dem der großstädtischen Friseursalons. Seine vielstündigen Tonaufzeichnungen bestätigen Karl Kraus' Diktum zur Gänze, Friseurgespräche seien „der unwiderlegliche Beweis dafür, daß die Köpfe der Haare wegen da sind“. Doch was ist damit über die Haare gesagt?

Immerhin, wie so oft, hilft eine profunde Ahnungslosigkeit weiter. Wer außer einem Uneingeweihten würde schon die Nuancen von Blond entschlüsseln wollen? Die Bedeutung von sonnigem, kühlem, gefährlichem oder Altem- Geld-Blond?

Vielleicht sollte man McCracken als den Ulrich Beck des Friseursalons bezeichnen. Denn am Ende seiner Reise in die Welt der Haare weiß McCracken, was er dann an den Anfang seines Buchs „Big Hair“ stellt: Sonnig, kühl oder gefährlich blondiertes Haar meint nicht mehr und nicht weniger als eine Methode weiblicher Selbsterfindung. Eigenes Leben. Was natürlich der altbekannten These von der Unterdrückung der Frau durch die kapitalistisch-patriarchale Schönheitsindustrie, die Naomi Wolf als Bestseller zu Markte trug, ganz entgegengesetzt ist. Dem Problem des ständigen Wechsels in unserem Leben kommt man nach Grant McCracken nicht mit therapeutischen Ratgebern bei. Denn was wir brauchen, ist nicht eine bessere Gewichtskontrolle, ein besseres Zeitmanagement und mehr Selbstvertrauen, auch wenn das alles nicht schaden kann; wir brauchen vielmehr ein flexibles Medium, in dem wir uns, in unserem ständigen Wechsel und Wandel, überhaupt darstellen können.

Ein Medium, das die ständige Neuerfindung unserer selbst bezeugt. Und während es niemand bemerkte, und die Experten in ganz andere Richtungen schauten, so McCrackens bemerkenswerter Befund, haben die Frauen ihr Instrument der Selbstvergewisserung schon längst parat: ihr Haar.

Deswegen bindet McCracken die historische Haarschleife nur bis zu den fünfziger Jahren. Damals war das Haar noch alles andere als eine veränderliche Angelegenheit. Dafür schien es um so mehr mit der neuen Technik des Spannbetonbaus zu tun zu haben. Dank Dauerwelle und Haarspray ruhten gewaltige Farah- Diba-Haarkörbe unveränderlich auf dem Kopf der Trägerin. „Sprayen Sie Ihr Haar, damit es sich anständig benimmt“, empfahl die Zeitschrift Good Housekeeping und meinte natürlich, sprayen Sie Ihr Haar, damit Sie sich anständig benehmen. Aus der Reihe tanzen galt nicht. Wahrscheinlich taugte damals ein solcher Haarhelm auch als Aktentaschenersatz beim atomaren Fallout.

Doch dann kam Vidal Sassoon aus London nach New York. Dort sollte er vor dem State Department of Cosmetology eine Prüfung ablegen, die den Gebrauch von Lockenwicklern und Haarspray zwingend erforderte. Er weigerte sich und gab statt dessen der New York Times ein Interview. Worauf Roman Polanski ihn einlud, Mia Farrow für „Rosemarys Baby“ die Haare zu schneiden. Was die Sache sensationell machte, war Sassoons Honorar von nicht weniger als 5.000 Dollar. 5.000 Dollar? Amerika kapitulierte sofort, und Sassoon machte nun auch dort das Haar zu einer Angelegenheit des Kopfes und nicht der Moral. Allerdings leisten noch heute ein Nest namens Dallas oder einige Gegenden auf Long Island Widerstand. Hier liebt man „big hair“. Big hair ist unübersetzbar, vereinzelt aber auch bei uns beliebt. Hannelore Kohl trägt es. McCracken würde ihre Frisur als „big hair, die Kanzleramtsversion“ bezeichnen. Gabriele Henkel trägt es – mit Schleife. „Big hair, die Gastgeberinnenversion“. Bei Maggi Thatchers aufgeplusterter Frisur ging es schließlich um nicht weniger als um „Hair as Nation“. Großes Haar, um sich mal so zu behelfen, ist nach McCracken eines der architektonischen Wunder unserer Zeit. Es trotzt der Schwerkraft, ist hoch und sperrig, man kann es nicht übersehen, es sieht dramatisch aus und extravagant. Mit Natürlichkeit hat es rein gar nichts zu tun. Die New Yorker nennen es „bridge and tunnel“, was heißt, daß niemand in Manhattan solche Haare trägt; nur die Frauen, die über die Brücken und durch die Tunnel nach Manhattan reinfahren, eben die aus Long Island. Großes Haar läßt sich vor dem Schlafengehen abnehmen und ins Regal stellen. Diese Sorte Haar tragen etwa die Damen von der Oranienburger Straße in Berlin. Großes Haar scheint preußischen Ursprungs zu sein. In Amerika nennt man es auch „Hindenburgesque“. Nur wer es sich leisten kann – aus durchaus unterschiedlichen Gründen, wie die Spanne von der Oranienburger bis zur Downing Street zeigt –, trägt großes Haar. Grant McCracken dagegen kann es sich leisten, in einer durchweg unakademischen Sprache das Haar als symbolisches Material in allen seinen farblichen Schattierungen und seinen verschiedenen Formen und Architekturen zum akademischen Studienobjekt zu erheben. Seine Beispiele findet er beim Film und dessen Stars, am erhellendsten und amüsantesten sind aber die schon erwähnten Friseurgespräche. Cynthia zum Beispiel nimmt Abschied vom Wasserstoffsuperoxyd, vom Trauma ihrer Höhere-Töchter- Schule, gegen die sich dieser Stil richtete, und sie nimmt Abschied vom Interesse von Männern, die eh nie ihr Fall waren. Naomi Wolf dagegen gefällt sich in Haaren wie denen von Cindy Crawford oder Claudia Schiffer, lang, offen, ungebändigt, sinnlich, sie gefällt sich in der stereotypen, sexuell völlig eindimensionalen Frisur des Weibchens.

Dieser Widerspruch zwischen ihrer Aufmachung und ihrem Anliegen straft Wolf entweder Lügen, oder er stärkt McCrackens Argument. Dann wäre Wolf nicht Opfer, sondern sie macht eine Selbstaussage. Vielleicht arbeitet sie daran, so McCracken, die Bedeutung solchen Haars zu verändern. Auch das ist heute denkbar.

Abbildungen aus: Grant McCracken, „Big Hair. A Journey into the Transformation of Self“. Woodstock 1996, 16,95$