Die Schlacht in der CDU um die EU steht kurz bevor

■ Der Streit, den die Landesfürsten vom Zaun gebrochen haben, trifft das europäische Selbstverständnis der CDU/CSU – besonders das von Helmut Kohl

Einmal, in sehr jungen Jahren, betrug sich Helmut Kohl wie ein Aktivist der außerparlamentarischen Opposition. Ohne Rücksicht auf die Rechtslage machte er sich mit Gleichgesinnten an Schlagbäumen der französisch-deutschen Grenze zu schaffen. Der Jugendelan ist heute dahin, die Überzeugung blieb. Kein Zweifel, Helmut Kohl ist ein Anhänger nicht irgendeines „Europa der Vaterländer“, sondern der Europäischen Union. In dieser Herzensangelegenheit ist der große Aussitzer bislang keinem Streit aus dem Weg gegangen. Er hat auch jede Menge Prügel eingesteckt, wie kürzlich seitens fast der gesamten britischen Öffentlichkeit, die er über den Zusammenhang von Nationalismus und Krieg belehrte.

Jetzt muß Kohl im eigenen Haus fighten. Sachsen und Bayern, Wahlmonarchien beide, und beide Hochburgen christlicher Staatsmacht, haben mit der Kommission der Europäischen Union einen Streit begonnen, der den Kern des europäischen Selbstverständnisses von CDU und CSU trifft. Dabei geht es nicht nur um die Rechtsfrage, ob die letzte Subventionszahlung der sächsischen Regierung an die VW-Werke in Chemnitz und Mosel mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar ist oder nicht.

In der Auseinandersetzung mit der EU-Kommission hat Sachsens Biedenkopf, sekundiert von Bayerns Stoiber, die demokratische Legitimation der Kommission in Zweifel gezogen, über die Verteilung regionaler Subsidien zu entscheiden. Darüber hinaus haben die beiden Regierungschefs generell die fehlende parlamentarische Kontrolle von Entscheidungen der Brüsseler „Eurokraten“ beklagt. Auf den ersten Blick scheinen das vernünftige Forderungen zur Demokratisierung und Dezentralisierung der EU zu sein. Aber Stoibers wie Biedenkopfs Argumentation läuft darauf hinaus, nicht das Europäische Parlament oder europäische regionale Institutionen zu stärken. Vielmehr sollen die Regionen, sprich im deutschen Fall die Länder, selbst entscheiden dürfen, was ihnen ihre Landwirtschaft oder ihre Industrie „wert ist“ (Stoiber). Wie wenig Biedenkopfs Ideen mit einem „Europa der Regionen“ zu tun haben, zeigen seine Äußerungen über das wirtschaftlich zurückgebliebene Süditalien im jüngsten Spiegel- Interview. Ihm zufolge verbietet sich ein Vergleich des „traditionellen Industrielands Sachsen“ mit seinen „fast 1.000 Jahren eigenständiger Geschichte“ mit einer Region, „die sich nie industriell entwickelt hat“. Einen solchen Vergleich anzustellen hieße, „die Menschen in Ostdeutschland“ zu diskriminieren.

Kohl steht vor einem offensichtlichen Dilemma. Einerseits kann er es sich nicht mit den beiden Landesfürsten verscherzen, denen es zudem leichtfallen würde, weitere Hilfstruppen aus anderen Bundesländern zu mobilisieren. Er muß also darauf bestehen, daß die Ausnahmevorschrift des Maastricht- Vertrages, die Subventionen für Ostbetriebe (Hilfen zur Überwindung der Nachteile, die aus der Spaltung Deutschlands folgten) vorsieht, voll angewandt wird. Andererseits muß er die politischen Folgen fürchten, die aus einer Klage Sachsens beim Europäischen Gerichtshof entstehen.

Nichts wäre für die europäische Währungsunion tödlicher als eine Kampagne des Inhalts: Die Betriebe im Osten werden der Willkür der Brüsseler Bürokratie geopfert. Eine Kampagne, die außerdem von Drohungen aus München untermalt würde, den EU-Haushalt 1999 zu blockieren, wenn die Bundesrepublik als „Nettoeinzahler“ der EU nicht spürbar entlastet wird.

Der Bundesregierung wird also nichts übrigbleiben, als auf der Ebene des Ministerrats der EU einen Kompromiß zu suchen und das Problem der Subventionen „kleinzuarbeiten“. Aber ein Erfolg in Brüssel ist noch keiner in Dresden und München. Die beiden Landesfürsten haben bereits ihre Kriegserklärung abgegeben. Wann kommt Kohl aus der Deckung? Christian Semler