Selten war das Verhältnis zwischen Bonn und Brüssel so angespannt: Sachsen provozierte die EU, indem es VW nicht genehmigte Subventionen zahlte. EU-Wettbewerbskommissar van Miert droht im Gegenzug, die Milliardensubventionen für Ostdeutschl

Selten war das Verhältnis zwischen Bonn und Brüssel so angespannt: Sachsen provozierte die EU, indem es VW nicht genehmigte Subventionen zahlte. EU-Wettbewerbskommissar van Miert droht im Gegenzug, die Milliardensubventionen für Ostdeutschland künftig genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Folgen könnten fatal sein: Kein anderer EU-Partner darf seine strukturschwachen Regionen mit soviel Geld unterstützen wie Bonn. Künftig können die Deutschen Subventionen anderer Regierungen nicht mehr so leicht verhindern. Eine echte Gefahr für den Aufschwung Ost?

Europas Musterknabe auf Abwegen

Kürzlich forderte der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes in Bonn schwerstes Geschütz an: „Deutschland muß notfalls seine Zahlungen an Brüssel einstellen“, polterte Gerd Sonnleitner, die geplante „Herodesprämie“ verstoße gegen die Befindlichkeit der Bevölkerung. Was den Oberbauern so in Rage brachte, war der Vorschlag des Brüsseler Agrarkommissars, Schlachtprämien für neugeborene Kälber zu zahlen, um den angeschlagenen Rindfleischmarkt zu entlasten.

Es ist in der deutschen Provinz offensichtlich in Mode gekommen, bei jeder Unzufriedenheit mit der EU gleich den ganz großen Hammer zu verlangen. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat das vorgemacht. Weil ihm die EU-Kommission untersagte, das vom Freistaat eigenhändig heruntergewirtschaftete Stahlwerk Maxhütte weiter mit Steuergeldern zu füttern, verlangte er von Bonn, den Beitrag an die EU zu kürzen. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ging gleich noch einen Schritt weiter. Er scherte sich einen feuchten Kehricht um das Subventionsverbot der EU und überwies 140 Millionen Mark an die sächsischen VW- Werke in Mosel und Chemnitz. Die Arbeitsplätze in Sachsen seien zu wichtig, rechtfertigte er den Bruch der EU-Gesetze. Opposition und Gewerkschaften klatschten Beifall, und der Spiegel krönte Biedenkopf zum Sachsenkönig.

Die Bundesregierung druckst herum. Einerseits weiß man, daß EU-Recht in der Bundesrepublik gleichermaßen gilt und die populistischen Attacken gegen Brüssel nicht lange durchzuhalten sind. Andererseits will Bonn dem Sachsenkönig nicht in die Parade fahren. Die Bundesregierung möchte nicht als Vollstrecker einer EU- Politik dastehen, die sie zwar selbst mitbeschlossen hat, die aber in der Bevölkerung gerade jetzt nicht gut ankommt. In der Öffentlichkeit hat Wirtschaftsminister Günter Rexrodt deshalb angekündigt, Sachsen im Fall einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu unterstützen. Am Freitag jedoch trifft er sich mit van Miert, um eine Klage abzuwenden.

Das Verhältnis zwischen Brüssel und Bonn war selten so angespannt. Schuld daran ist nicht die Brüsseler Regelungswut, wie Biedenkopf behauptet. Die hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Der früherer EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ließ jährlich Hunderte von neuen EU- Gesetzen auf den Weg bringen. Sein Nachfolger Jacques Santer begnügt sich mit einem Bruchteil. Sein erklärtes Ziel ist es, die EU auf ihre Kernaufgaben zurückzuführen, damit sie wieder Rückhalt in der Bevölkerung bekommt.

Der Grund für die Spannungen liegt in einem neuen Selbstbewußtsein deutscher Politiker. Bis zur Vereinigung war Deutschland eines von fünf großen EU-Ländern; ein wirtschaftlicher Riese zwar, aber politisch durch die Kontrolle der vier Siegermächte gebunden. Seit dem 3. Oktober 1990 ist die Bundesrepublik nicht nur das mit Abstand größte, sondern auch das wirtschaftlich wie politisch mächtigste Land der Europäischen Union. Daraus scheinen einige Politiker Sonderrechte abzuleiten.

Im selben Maß, in dem sich in den Nachbarländern seit 1989 die Ängste vor einem übermächtigen Deutschland beruhigt haben, ist auch die Zurückhaltung geschwunden, die sich Bonn anfangs auferlegt hatte. Die Bescheidenheit war hilfreich, weil sie den EU- Partnern das Verständnis für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Ostdeutschland erleichterte. Die Bundesrepublik erreichte dadurch zahlreiche Sonderkonditionen, sie durfte die Umstellung von der Planwirtschaft auf den Markt großzügig mit Milliarden-Subventionen unterstützen. VW, Opel, Dow Chemical oder Elf Aquitaine hätten sich ohne diese Staatszuschüsse nie auf Investitionen in Ostdeutschland eingelassen. Die Attraktivität der neuen Bundesländer für die internationalen Unternehmen bestand vor allem darin, daß solche Subventionen in der übrigen EU verboten sind. Auch die spanische oder die portugiesische Regierung würden gerne Milliarden für die Schaffung von Arbeitsplätzen zahlen. Aber das ist nach EU-Recht verboten, weil sich die EU-Länder sonst gegenseitig den Markt kaputtmachen würden. Subventionen hier gefährden Arbeitsplätze dort. VW-Chef Piäch hat vorgerechnet, daß jeder Polo, der in Mosel gebaut wird, durch die von Biedenkopf illegal gewährten Subventionen um 530 Mark billiger wird. Opel hat bereits angekündigt, daß deshalb in Eisenach Arbeitsplätze verloren gehen, wenn der Konzern nicht ebenfalls einen Nachschlag von ein paar hundert Millionen Mark aus der Staatskasse bekommt.

Solche Subventionswettläufe zu verhindern, ist der Sinn der EU- Wettbewerbskontrolle, die bereits 1957 mit Zustimmung der Bundesregierung eingeführt wurde. Ausnahmen vom generellen Subventionsverbot bedürfen seither der Genehmigung der Europäischen Kommission, etwa wenn es darum geht, regionale Nachteile auszugleichen. Bis vor kurzem pochte Bonn stets auf die strikte Einhaltung des Verbots, sträubte sich gegen Ausnahmen. Im Baskenland, früher eine Stahlregion, mußten nacheinander alle 18 Stahlwerke schließen, weil die EU-Partner mit Blick auf die eigene Stahlindustrie die Subventionserlaubnis verweigerten. Auch Bonn waren die eigenen Arbeitsplätze wichtiger.

Seit die Bundesregierung in Ostdeutschland blühende Landschaften baut, ist sie zum Europameister im Subventionieren aufgestiegen. Und damit hat sich auch ihre Haltung zur Subventionskontrolle geändert: Reibereien mit Brüssel sind an der Tagesordnung. Die Ausnahmeregeln für Staatszuschüsse in den neuen Bundesländern waren zeitlich begrenzt, jetzt laufen sie Schritt für Schritt aus. Doch Bonn möchte so weitermachen. Auf den Fluren der EU- Kommission kursieren Geschichten von deutschen Wirtschaftsführern und Politikern, die dreist eine Sonderbehandlung fordern.

In Brüssel wartet man gespannt darauf, daß Bundeskanzler Helmut Kohl vom Wolfgangsee zurückkehrt. Kohl hat großes vor mit der EU: Er will eine stärkere Politische Union, die Währungsunion, die rasche Aufnahme der östlichen Nachbarn. Dafür braucht er das Einverständnis der EU-Partner. Die erwarten, daß in Deutschland erst einmal die bestehenden EU- Gesetze ernstgenommen werden, bevor über die gemeinsame Zukunft verhandelt wird. Alois Berger, Brüssel