Offener Brief - betr.: "Die Stadt, der Müll, die Armen", taz vom 17./18.8.1996

Sehr geehrter Herr Senator Wrocklage,

mit Bestürzung habe ich Ihre Aussagen gelesen, daß Sie die Armen bzw. Obdachlosen aus der Innenstadt verdrängen möchten. Sind diese Menschen für Sie etwa nur Menschen zweiter Klasse? Haben Sie eigentlich nie daran gedacht, daß Sie in Ihrem bisherigen Leben Glück gehabt haben? Daß es Sie hätte genauso treffen können? (...) Was haben Ihnen die armen Leute getan, die nichts dafür können, daß sie auf der Straße leben, weil sie vom Leben nur an der Nase herumgeführt wurden? Soll es etwa so auswuchern wie in Köln, wo Leute, die länger als zehn Minuten in der Innenstadt auf der Straße sitzen, für zehn bis 15 Stunden in Polizeigewahrsam gesteckt und danach mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt werden? Ich selber habe dies am eigenen Leib erfahren müssen.

Anstatt den Leuten beim Betteln oder Schnorren zuzusehen, sollten Sie lieber das Gespräch mit den Betroffenen suchen, als der überarbeiteten Polizeibehörde noch mehr Arbeit aufzubrummen, als die ohnehin schon hat. Vielleicht würden Sie dann die Menschen zweiter Klasse verstehen. Denn diese sind nicht „Menschen zweiter Klasse“, sondern sie sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Also gehören sie zu uns, nicht wegrationalisiert. Es grüßt Sie,

Hans Reinhard Kraemer (ehe- maliger Mensch zweiter Klasse)

Betr.: Erweiterung des Medienkomplexes Zeise: „Tödliche Begierde“, taz hh v. 15.8.; „Filmreifer GALischer Filmriß“, „Feiges Feigenblatt", taz hh v. 20. 8.