Der Barbier von Bebra (16)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Kripopraktikant Mirko Pril ist als nackter Undercover-Sandwichmann im Berliner Bezirk Wilmersdorf unterwegs und wird von Kindern ausgelacht.

Auf der anderen Straßenseite blieb eine Schwangere mit Kinderwagen stehen und spähte durch ihr Fernglas herüber.

Pril wurde wütend. Ihr Mißgeburten, dachte er, sollt mir meine letzte Karrierechance nicht vermasseln! Er probierte es mit einem Trick: „Zieht ab, sonst kommt der große, böse Wolf!“

Die Kinder quiekten vor Vergnügen. „Wie heißt'n du?“ riefen sie, kichererbsten um ihn herum und kuckten vorwitzig unter die Witwenhaßtafeln. „Der Onkel ohne Sachen an hat einen blauen Pillermann!“ kreischten sie und kugelten sich vor Freude über den geglückten Reim. Gegenüber wühlte die Schwangere ihr Mobiltelefon aus der Schürze und tippte aufgeregt die Startnummer der Telefonkette von Wildwasser Wilmersdorf ein. „Parole Rosenstolz! Hier Eusebia“, zischelte sie. „Wir haben Michael Rutschky. Pariser Ecke Ludwigkirch! Beeilt euch!“

Mirko Pril begann zu schruzen: „Wenn ihr weggeht, gebe ich euch was zu schlickern mit!“

Auf diese Lüge fielen die kleinen Strolche nicht herein. „Du hast doch nix!“ riefen sie. „Was steht'n da auf deinem Popo?“

Auch das noch. Sie hatten die Tätowierung entdeckt, die ihm bei der Bundeswehr von viehisch betrunkenen Unteroffizieren verpaßt worden war:

„I k Kritische Politessen!“

Der Lockvogel wußte sich keinen Rat mehr. Er trat nach den Kindern, aber sie waren viel zu flink, und die Tafeln behinderten ihn. Sie schwangen hin und her, bis Mirko Pril im Freien stand. „Zieht endlich Leine“, köterte er, „oder ich reiß euch den Kopf ab!“

Ein Doppeldeckerbus rauschte heran. Der Fahrer stieg in die Eisen. „Kommt mal her! Da läuft'n Sittenwilli rum!“ schrie irgendwer aus einer Hofeinfahrt.

Zzschsch, fffffhhh – die Bustüren öffneten sich. „Dem dreh' ick den Kopp uff Null!“ kündigte der Fahrer an, ein Würfel von Mann. Ein Rudel Wilmersdorfer Witwen hinkte die Buswendeltreppe hinab. „Der gehört uns! Wir haben ihn zuerst gesehen!“

Aber Wildwasser Wilmersdorf hatte keine Zeit verloren. Auch die Kinderschützerinnen wollten etwas vom Kuchen abbekommen. Aus allen Richtungen strömten Mord- und Schaulustige herbei.

Der Busfahrer stieß die Kinder brutal zur Seite und stürzte sich auf Mirko Pril. „Dir werd' ick helfen, du Schwein!“

„Helfen? Habt ihr das gehört?“ Eusebia und ihre Eingreiftruppe zogen die Kleiderbügel blank. „Täterschützer, Täterschützer! Schnappt – ihn – euch!“

Die Witwen hatten einen Vorsprung von drei Metern, doch die jungen Dinger waren schneller und machten den verdatterten Busfahrer einen Kopf kürzer. „Ick hab' doch Frau und Hund“, hatte er noch ausrufen wollen, aber dazu war er nicht mehr gekommen.

Plötzlich brachte ein gellender Ginseng-Schrei alle Aktivitäten zum Erliegen. Die dienstälteste Witwe, ein gebrechlicher Alptraum in Beige, hatte die Sandwichtafeln entdeckt.

Sie zückte ihre Krücke.

„Das ist alles nur ein Mißverständnis!“ käkelte Mirko Pril und merkte verblüfft, daß er die reine Wahrheit gesagt hatte. Er gewann wieder Oberwasser. „Aber, aber, meine Damen! Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Erst mal entspannen, erst mal Picon!“

Aber auf dem Ohr waren die Damen taub. Zwei Sekunden später war der Praktikant Hackepeter. Im Eifer des Gefechts wurden auch die Kinder zerfleischt.

Noch am gleichen Abend legte eine Delegation von Wildwasser einen Kranz am Schauplatz des Massakers nieder. „Den Opfern der Männergewalt“, stand auf den Schleifen.

So konnte man es natürlich auch ausdrücken.

Fortsetzung folgt

Erscheint im Herbst bei Edition Nautilus