Im Herzen der Bestie

■ Tanztheater als politische Provokation: die israelische Batsheva Dance Company mit ihrem Stück "Anaphase" im futuristischen Isozaki-Rohbau am Potsdamer Platz

Viel Vergnügen wünscht ihnen debis Immobilienmanagement GmbH“. Unübersehbar flattert die weiße Fahne auf der dunklen Bühne. Tanzen für Daimler-Benz ist angesagt, das hätten wir auch ohne dieses aufdringliche Stück Stoff gewußt. Schließlich befinden wir uns mitten auf dem Potsdamer Platz, im Rohbau des Architekten Arata Isozaki, auf dem Daimler- Benz-Baustellensommer 1996.

Innerhalb von zwei Tagen wurde unter Beteiligung von dreißig Firmen eine 22 x 18 Meter große Bühne und eine 1.200 Menschen fassende Zuschauertribüne in den Rohbau montiert. 600.000 Mark läßt sich Daimler-Benz diesen Spaß kosten. Es sei ihre Idee gewesen, sagte Nele Hertling, Direktorin des Hebbel-Theaters, auf der Pressekonferenz. Sie sei an debis herangetreten und habe den Vorschlag unterbreitet, die israelische Batsheva Dance Company mit ihrem Stück „Anaphase“ im Rahmen von „Tanz im August“ und Schaustelle Berlin auf die Baustelle Potsdamer Platz zu holen.

Selbst wenn man die Notwendigkeit von Sponsoring halbwegs einsieht: Muß es unbedingt so großspurig sein? So ganz kann man die sonst so geschätzte Hebbel-Theater-Direktorin nicht verstehen, die darauf beharrt, daß beide Partner bekommen, was sie wollen: Der Daimler-Benz-Bau die erwünschte Imagepolitur und das Hebbel-Theater eine sonst kaum finanzierbare Kunstveranstaltung.

Die Imagepolitur

Zunächst sieht es so aus, als hätte Daimler-Benz viel und die Kunst wenig gewonnen. „Wir sind hier doch bloß Statisten“, flüstert mein Begleiter. Nur die Hälfte der insgesamt 4 mal 1.200 kostenlosen Karten waren für die Öffentlichkeit zugänglich, der Rest ging an die friends of Daimler Benz. Als die TänzerInnen der Batsheva Dance Company unter mächtigem Trommelwirbel und mit einem jüdischen Lied auf den Lippen immer wieder von ihren Stühlen rutschen, verstärkt sich das Unwohlsein, ob solch — wenn auch gebrochenem — jüdischem Folklorismus ins Unerträgliche.

Doch dann kommt alles anders. Nach zehn Minuten reißen sich die 25 Gestalten ihre Anzüge vom Leib. Halbnackte, verschmierte, mit wenigen Lederstreifen umwickelte Körper kommen zum Vorschein. Martialisch geht es zu in den nächsten eineinhalb Stunden, manchmal auch leise und poetisch, doch vor allem: sarkastisch.

„Anaphase“ ist ein anarchisches Stück, das seine eigene Form unentwegt sprengt, das Unterhaltungsbedürfnisse bedient, aber genau diesen Vorgang ironisch ausstellt. Naharin selbst erscheint im langen, hochgeschlitzten, paillettenübersäten roten Abendkleid auf der Bühne und haucht, etwas zu langgezogen, ein Liebes-Chanson ins Mikro, wobei jedes seiner Worte auch noch per Dia auf schwarze Tafeln projeziert wird: Travestie der Travestie.

„Bitte stehen Sie alle auf“, wird man irgendwann in der Mitte des Stücks von einem anderen Transvestiten, diesmal mit Glatze und silbrigem Paillettenkleid, gebeten. Zunächst dürfen sich diejenigen setzen, die an Seelenwanderung glauben, dann diejenigen, die im Jahr über 200.000 Mark verdienen, und dann auch die anderen: jene, die Romane von Italo Calvino lesen, die Schmerz mögen, und schließlich die, die gerne masturbieren.

Die Party

Eine Frau, die Geburtstag hat, wird auf die Bühne gebeten. Doch dann kümmert man sich nicht um sie. Sie sitzt eingeklemmt zwischen zwei dunklen Anzugmenschen, bis aus dem Bühnenhintergrund immer mehr dieser halbnackten Gestalten quellen, in den Händen Luftballons, die man schließlich in das Dunkel der Nacht entschweben läßt. Eine gespenstische Geburtstagsparty, die übergeht in eine Geisterbeschwörung, ein Gedenken an die Toten. Zu einem elegischen Tanzsolo werden Namen von Aidstoten vorgelesen, die meisten sind jüdisch. Hier auf dem Potsdamer Platz, finanziert von Daimler-Benz, hat das einen bizarren Beigeschmack. Und genau so soll es sein. Wenn schon Isozakis futuristischer Bau an „Blade Runner“ und „Brazil“ erinnert, so phantasiert man bei Naharins martialischen Tänzen von Underdogs, die aus allen Mauerritzen kriechen. „Anaphase“ ist ein Tanz im Herzen der Bestie. Ein Stück, das diesen Rahmen braucht, ihn zum Thema hat, sich daran abarbeitet.

Als Auftragsarbeit für das Israel Festival 1993 entstanden, war das Stück schon damals als Provokation gemeint. In Berlin war solch politisches Tanztheater schon lange nicht mehr zu sehen. Das gewünschte Medienspektakel haben die Herren von Daimler-Benz gekriegt – selbst in den heute-Nachrichten wurde von dem Event berichtet. Ob sie aber tatsächlich bekommen haben, was sie wollten, war am Ende nicht mehr so sicher. Michaela Schlagenwerth

Weitere Aufführungen am 22. und 23. 8., 21.15 Uhr, Potsdamer Platz, Zufahrt über Reichpietschufer