Eklat um Straßenumbenennung

■ Wilmersdorf: SPD und Grüne ziehen aus Bezirksparlament aus. CDU lehnt Walter-Benjamin-Straße weiter ab

Als „Schlag ins Gesicht“ hat der Bündnisgrüne Roland Thiel die gescheiterte Abstimmung der Wilmersdorfer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) über die Umbenennung des Seebergsteigs in Walter-Benjamin-Straße bezeichnet. Aus Protest verließen Bündisgrüne und SPD direkt nach der Abstimmung den Saal, die Sitzung wurde unterbrochen. Die gesamte CDU-Fraktion, die die Mehrheit in der BVV hat, stimmte gegen die Umbenennung des Schmargendorfer Seebergsteigs; Bündnisgrüne und die SPD waren geschlossen dafür.

Vor der Abstimmung versuchten Bündisgrüne und SPD, die CDU-Fraktion doch noch einmal umzustimmen — ohne Erfolg. Jürgen Karwelat von den Bündisgrünen erinnerte daran, daß der evangelische Theologe Reinhold Seeberg „ein geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus“ gewesen sei. Seeberg hatte 1933 ein Gutachten für die nationalsozialistischen Deutschen Christen verfaßt. Dort hatte er Nationalsozialismus und evangelisches Christentum miteinander verbunden und sich explizit gegen die Bekennende Kirche gestellt.

Kurz nach seinem Tod 1935 ehrten ihn die Nationalsozialisten, indem sie die Dunckerstraße in Seebergsteig umbenannten. Insgesamt wurden in Wilmersdorf acht Straßen umbenannt, deren jüdische Namengeber aus rassepolitischen Gründen im Stadtbild getilgt werden sollten.

Karwelat warf den Christdemokraten vor, sich nicht genügend mit der Person Seebergs befaßt zu haben. Er forderte vor der Abstimmung, den Konflikt im Kulturausschuß zu diskutieren, unter Einbeziehung der Jüdischen Gemeinde und einem Bochumer Professor, der seine Habilitation über Seeberg schrieb.

Im Juni hatte sich die Jüdische Gemeinde in den Konflikt eingeschaltet. In einer Resolution der Repräsentantenversammlung protestierten sie gegen das Vorgehen der CDU: Es sei nicht hinnehmbar, daß die BVV an dem Namen eines bekannten Wegbereiters des Nationalsozialismus festhalte. Weiterhin hieß es: Der Beschluß der BVV könne das „wiedergewonnene Renommee Berlins nachhaltig schädigen“. Die BVV habe den Namen Seeberg zum „zweiten Mal seit 1938 geehrt“.

Die CDU protestierte auf der gestrigen Sitzung gegen die Vorwürfe der Jüdischen Gemeinde: „Die CDU-Fraktion kann es nicht nachvollziehen, daß die Beibehaltung des Namens ein erneute Ehrung von Seeberg bedeutet“, sagte Fraktionschef Dietmar Nobling. Wilfried Kirkes (CDU) warf den Bündnisgrünen und der SPD vor, „die Jüdische Gemeinde zu instrumentalisieren“.

Sein Agrument für Beibehaltung des Namens: Die Mehrheit der Anwohnerinnen des Seebergsteigs hätten sich in einer Umfrage des Bezirksamtes gegen eine neue Benennung ausgesprochen.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Hella Dunger-Löper bezeichnete das Vorgehen der CDU als „beschämend“ und als „nicht hinnehmbar“. Fünf Jahre hatte der Streit zwischen rund 200 AnwohnerInnen und Bezirksamt gedauert. 1991 hatten die Bezirksverordneten mit Stimmen der SPD, Bündnisgrünen und damals noch der FDP entschieden, den Seebergsteig aus dem Namenverzeichnis zu streichen und die Straße dem jüdischen Schriftsteller und Literaturkritiker Walter Benjamin zu widmen.

Die AnwohnerInnen klagten jedoch gegen den Beschluß, allerdings erfolglos. Eine ihrer Argumente: Visitenkarten müßten geändert werden — es entstünden unzumutbare Kosten. Sie gingen in die zweite Instanz, dieses Urteil ist jetzt hinfällig. In der BVV-Sitzung im Mai diesen Jahres hatte die CDU mit der zwischenzeitlich gewonnenen absoluten Mehrheit das Bezirksamt aufgefordert, die Umbenennung nicht weiter zu verfolgen.

Trotz der Niederlage kündigten die Bündnisgrünen an, weiter über Seeberg aufzuklären. Sie planen eine Lesung, in der Texte von Seeberg und Benjamin gelesen und diskutiert werden sollen. Julia Naumann