Zwischen den Rillen: Friedhof der Dröhnobjekte
■ Imperfekt, aber charakteristisch: Klangskulpturen von Christof Schläger
Sollte man aus Geräuschen „Musik“ machen können? Oder werden sie immer „Lärm“ bleiben? Die Sampling-Generation arbeitet bereits heftig an der Rehabilitierung des „Lärms“, aber auch jenseits der Plünderung musikalischer Archive gibt es Ansätze und Traditionen.
Christof Schläger gehört zu den Klangskulpteuren, die sich ein eigenes Instrumentarium allererst zusammenbasteln. Als Konstrukteur steht er in der Tradition des italienischen Futuristen Luigi Russolo, der bereits zu Anfang des Jahrhunderts, in den 10er Jahren, die Elaborate seiner Garagenproduktion „Intonarumori“ – Geräuschtöner – nannte und mit so sprechenden (und zugleich klingenden) Namen wie „Heuler“, „Dröhner“, „Knisterer“, „Krächzer“, Berster“, „Brummer“, „Gurgler“ oder „Zischer“ versah. Schläger steht, am Ende des Jahrtausends, nolens volens in dieser Tradition, wenn er seine Drahtharfe aus Garagentorfedern „Federine“ nennt oder anderen seiner Klangmaschinen Namen wie „Rauscher“, „Quäker“, „Sauser“ gibt. Laß hören, wie du klingst, und ich sage dir, wie du heißt.
Als bildender Künstler, das kann man im Booklet sehen, hat Schläger die mechanische Funktion der Objekte mit skulptural ansprechender Form verbunden. Sie entfalten die Poesie des Selbstgebastelten: imperfekt, aber charakteristisch. Und sie haben eine unverwechselbare „Gestalt“, sowohl plastisch als auch auditiv. Der „Komposition“ im Sinne einer räumlichen Anordnung der Mechanoinstrumente zu einem kleinen Orchester entspricht die klangliche Anordnung der Klangobjekte zu „Geräusch Gestalten“.
Als Komponist oder besser Dirigent seiner dröhnenden Herde ist Schläger leider Dilettant. Die Struktur seiner „Geräusch Gestalten“ ist zumeist schlicht, der dramatische Verlauf berechenbar, sie sind nach wiederkehrenden Mustern der Prinzipien Verdichtung/Ausdünnung (der Elemente) und Beschleunigung/Verlangsamung (der Ereignisse) organisiert. In den Stücken herrscht stetige Betriebsamkeit. Streng scheint darauf geachtet zu sein, daß ja nie zuwenig los ist, was leider zu einer Verkleisterung der Zeit (=musikalischer Raum) führt. Doch benötigt ein klangliches Ereignis den Hintergrund der Stille, wenn es Bedeutung gewinnen und nicht bloßer Reiz bleiben soll. Hinter der Vollbeschäftigungsmanie mag ein horror vacui, die Angst vor dem angehaltenen Moment oder auch nur Gleichgültigkeit im Umgang mit der Zeit stecken. Im ungebrochenen Vertrauen auf die Macht des ewig gleichförmigen Rhythmus läßt er seine Maschinchen fleißig (lateinisch: industria) arbeiten (tschechisch: robota), was diese selbstverständlich auch unermüdlich tun.
Das scheint das Konzept in einen merkwürdigen Widerspruch zu sich selbst zu bringen. Denn zunächst hat Schläger die Geräuschtöner ja aus der Sphäre der unmündigen Gegenstände befreit, knechtet sie dann aber doch in die Fließbandmetrik eines (computergesteuerten) Viervierteltaktes. Poesie, oder wenn man will: Industrieromantik, geht gründlich verloren, wo sich der Schöpfer als Diktator, als Tyrann aufspielt. Und da die geschundenen Objekte (denn so läßt sich das ja auch sehen: Sie werden geschlagen, geschrappt und geschrammt, gestaucht und gedehnt) aufeinandergehetzt werden und einander überschreien müssen, überlagern sich ihre Stimmchen zum breiigen Chor von „Geräusch Gestalten“, die genau die Tristesse heraufbeschwören, die den technisierten Alltag so unerträglich – oder um es antiquiert auszudrücken: entfremdet – sein läßt: Einförmigkeit und Differenzlosigkeit.
Das poetische Potential scheint in den geglückteren Passagen der 18 kurzen Stücke da auf, wo die Instrumente losgelassen werden und in metrisch-anarchischer Regellosigkeit ihren eigenen Rhythmen gehorchen. Wenn, wie Oskar Fischinger einmal zu John Cage sagte, „die Geräusche die Seele der unbelebten Gegenstände sind“, dann entfaltet sich deren klangliches Leben nur dem, der bereit ist, sich von den Dingen um uns herum etwas sagen zu lassen.
Die Eintrittskarte zu solch einem akustischen Biotop, das ein noch immer unentdecktes Land der Musik ist, heißt: hören. Und dann kann man beginnen zu bauen. Frank Hilberg
Christof Schläger: „Geräusch Gestalten“. Katalog und CD, Item Verlag, Schloßstr.261, 45359 Essen
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