Der Barbier von Bebra (18)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Kommissarin Güzel hat Besuch vom hungrigen Lutz bekommen.

Wer nichts wird, wird Zwischenwirt, dachte die Kommissarin und warf Lutz eine Tüte Studentenfutter zu, die er gierig aufriß, ansetzte und zügig leerte.

Kauend gab Lutz sein Wissen preis. „Der Mörder kommt aus dem Westen. Und die Stasi hat auch ihre Finger drin!“

„Donnerschlag. Wie haben Sie das herausgefunden?“

Der Blick des ungebetenen Besuchers wurde stumpf. „Das ist doch logisch!“ tönte er und goß sich den Whisky schwungvoll hinter die Binde. „Das sagt einem eben der gesunde Menschenverstand. Ich schwebe in Lebensgefahr!“

„Schweben ist gut“, sagte Gisela Güzel. „Und da ist die Tür.“

Doch es war schon zu spät. „Schutz! Schutz! Schutz für Lutz!“ schluchzte Lutz und sackte auf die Knie. Aus der linken Brusttasche nestelte er einen Parfümflachmann und hielt ihn Gisela Güzel hin. „Da! Für dich! Mit Tosca kam die Zärtlichkeit!“ Immer heilloser krauchte der Dichter auf dem Kachelfußboden herum. „Herr Polizei, das ist Revolution! Heute ich und morgen die ganze Welt!“

Gisela Güzel hatte genug. Sie stellte ihr Glas ab, entsorgte den Moppel im Polizeigriff und knallte auch die Kiste vor die Tür.

„Sie wollen mich doch nur abwickeln!“ röchelte Lutz.

Die Tür fiel ins Schloß.

*

Der Mann, der am frühen Morgen auf der Hamburger Davidswache erschien und einen Bewußtlosen geschultert hatte, wies eine zerzauste, grau und verwildert in alle Richtungen sprießende Haar- und Barttracht auf.

Zunächst hielt ihn der Petermann am Empfangsschalter für einen Landstreicher und entsicherte die Dienstwaffe. Doch der Hüne legte seine Fracht in aller Ruhe auf den Schalter und sagte: „Du kriegst den Bartmörder, ich kriege die Belohnung. Top?“

Darauf ging der Wachtmeister nicht ein. „Wer sind Sie überhaupt?“ schnauzte er.

„Ich heiße Harry Rowohlt. Wie der Bartmörder heißt“ – er deutete auf die reglose, schwach atmende Gestalt –, „weiß ich nicht, aber er wollte mich skalpieren. Da habe ich ihm eins auf die Nuß gegeben. Wenn ich die Belohnung hier nicht kriege, nehme ich ihn wieder mit und versuche es woanders.“

Das Risiko schien dem Beamten doch zu groß. „Sie meinen, das ist der Bartmörder? Können Sie das beweisen?“

„Es wäre schön, wenn du zur Abwechslung auch mal was tätest“, knurrte Rowohlt. „Oder bist du Mahatma und willst den Ruhm irgendwelchen Kollegen schenken?“

Das überzeugte den Wachtmeister endgültig. Sogleich legte er dem Bewußtlosen Handschellen an und fingerte ein Protokollformular aus dem Fach. „Rowohlt heißen Sie? Sind Sie dieser Verlag? Ich schreibe nämlich auch, müssen Sie wissen.“

Diese Heimsuchung wurde ungnädig aufgenommen. „Nein. Ich bin Übersetzer.“

„Macht doch nichts. Dann übersetzen Sie meine Gedichte eben. Zufällig kann ich eins auswendig.“ Er setzte sich in Positur und deklamierte: „Was in Hamburg Halunke wurde, war ja wohl meistens Brikett oder auch Kurde, die PKK bedankt sich bei Voscherau, doch auf die Straße wagt sich kaum noch eine deutsche Frau, die Scheinasylanten lachen sich ins Fäustchen“ – doch weiter kam er nicht: Auch ihm hatte Harry Rowohlt eins auf die Glocke gegeben, obwohl er den Reim auf „Fäustchen“ nicht ungern noch gehört hätte. Stefan Äustchen vielleicht?

Über den Tresen hinweg angelte er sich das Telefon und wählte 110.

„Hier Hilfswachtmeister Rowohlt, Davidswache“, sagte er. „Ich habe hier den Bartmörder und einen geisteskranken Polizisten vor mir liegen. Und jetzt möchte ich einmal jemanden sprechen, der nicht spinnt.“

Fortsetzung folgt

Erscheint im Herbst bei Edition Nautilus