Zweifelhafte Moral

■ An dem Skandal um Schreinemakers haben alle verdient

„Klack, da war Frau Schreinemakers weg“, freute sich die B.Z., und auch das Mutterblatt Bild frohlockte: „Schreinemakers raus“. Tatsächlich kamen so ziemlich alle auf ihre Kosten, als sich Sat.1 am Donnerstag abend um 23.50 Uhr aus „Schreinemakers live“ ausblendete: Die Moderatorin wurde ihrem Ruf als Eisenfrau des Gewerbes trotz ihrer Babypause gerecht, und Sat.1 machte endlich mal wieder eine gute Quote: Durchschnittlich sechs Millionen (Marktanteil 30 Prozent) ZuschauerInnen sahen zu, wie die Moderatorin im Verlauf der Sendung zunehmend nervöser wurde. Und rekordverdächtige 4,5 Millionen waren noch wach, als es im deutschen Fernsehen eine Premiere gab: Denn daß ein Sender das Programm aus inhaltlichen Gründen unterbricht, hat es bisher noch nicht einmal beim Bayerischen Rundfunk gegeben.

Nun will auch Schreinemakers' zukünftiger Arbeitgeber RTL noch einmal Kasse machen. Unmittelbar nach Abbruch der Sendung bot der Sender an, eine Stellungnahme von Margarethe Schreinemakers in seiner gestrigen Augabe des Magazins „Explosiv“ auszustrahlen. Sat.1 habe eine eigenartige Auffassung von Journalismus bewiesen, begründete ein RTL-Sprecher den Vorstoß. Man werde aber einen „eigenen originären Beitrag“ senden. Auch wenn Schreinemakers ihren Vertrag bei Sat.1 bis zum Jahresende erfüllen will, nahm sie das Angebot, sich doch noch als Rächerin der Entrechteten zu präsentieren, dankend an: „Meinen Zuschauern wurde das Recht verweigert, die Wahrheit zu hören.“

Das sieht die zuständige Medienanstalt Rheinland-Pfalz freilich anders. „Sat.1 hat in besonderer Weise seine Veranstalterverantwortung wahrgenommen, da eine einseitige Berichterstattung zu befürchten war“, sagte Justitiar Harald Zehe gegenüber der taz. Im übrigen habe der Sender als alleiniger Programmverantwortlicher jederzeit das Recht, zu entscheiden, was läuft und was nicht. Letztendlich seien aber die Verträge zwischen Sat.1 und Schreinemakers' Produktionsfirma Living Camera verbindlich. Daß die eingehalten wurden, ist mehr als wahrscheinlich – schließlich saßen sämtliche Sat.1-Justitiare am Donnerstag vor der Glotze, um die Ausblendung abzusegnen.

Nun kann sich also ausgerechnet Sat.1 als Bewahrer des journalistischen Reinheitsgebots gerieren – jener Sender, der das Privatfernsehen mit dem vom ehemaligen Informationschef Heinz Klaus Mertes institutionalisierten Kanzler- Kotau erst so richtig in Verruf brachte. Doch wenn es der Sender mit der postulierten journalistischen Sorgfaltspflicht tatsächlich ernst gemeint hätte, wäre die Sendung wohl von Anfang an unterbunden worden. Schließlich war auch der letzte Vermittlungsversuch von Geschäftsführer Jürgen Doetz („Tut es nicht! Wir werden euch ausblenden...“) bereits am späten Nachmittag gescheitert.

Noch zweifelhafter wird die Rolle des Senders dadurch, daß man die Ehrenerklärung in eigener Sache ausgerechnet von Uli Meyer verlesen ließ, der mit seinem Boulevardmagazin „Akte 96“ beständig an Glaubwürdigkeit und Moral vorbeischrammt. „Margarethe Schreinemakers steht im Mittelpunkt einer heftigen Diskussion in der Öffentlichkeit. Kernpunkt dieser Diskussion ist ihre Auseinandersetzung mit den deutschen Steuerbehörden. Wir sind der Auffassung, daß eine Moderatorin diese Thema nicht zum Gegenstand der Sendung machen kann und darf“, verkündete Meyer gewohnt mitbetroffen. Wie es wirklich mit dem journalistischen Anstand bei Sat.1 aussieht, zeigte Meyer anschließend in den Nachrichten: Die begannen mit einem Bericht in eigener Skandalsache – erst danach kam ein Beitrag über den Krieg in Tschetschenien. Oliver Gehrs