: Wenn die Ifor Plakate klebt
Im bosnischen Wahlkampf greifen die großen nationalistischen Parteien zu Manipulationen und Drohungen gegen Oppositionelle ■ Von Georg Baltissen
In dieser Woche hat die Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina Ifor in den Wahlkampf eingegriffen. Nicht, daß sie gesuchte Kriegsverbrecher verhaftet oder die im Dayton-Abkommen garantierte Bewegungsfreiheit hergestellt hätte. Nein, seit Mitte der Woche klebt sie Plakate. „Bosnien-Herzegowina-Wahlen 1996 – Wählen Sie das Beste“, lautet der Wahlspruch. Doch ganz so leicht wird den Bosniern die Wahl nicht gemacht. Keine der großen nationalistischen Parteien schreckt vor Einschüchterungen, Manipulationen und groben Drohungen zurück. Je näher der Termin für die Abstimmung rückt, desto häufiger sind Berichte über Mißhandlungen, über Anschläge, Verhaftungen und Entlassungen oppositioneller Kandidaten.
Die regierende Partei in der Republik der bosnischen Serben, die Serbische Demokratische Partei (SDS), wurde als erste von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die den Urnengang organisiert, zu einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 Dollar verurteilt, weil sie in Doboj und Modrica versuchte, Wahlberechtigten vorzuschreiben, wo sie ihre Stimme abzugeben hätten. Die SDS hatte die Zuteilung humanitärer Hilfe davon abhängig gemacht, daß die Flüchtlinge ihre Stimme an den gegenwärtigen Aufenthaltsorten in der Serbischen Republik und nicht an ihren früheren Wohnorten abgeben. Hintergrund dieser Manipulationen ist die Befürchtung auf serbischer Seite, daß zahlreiche ehemalige muslimische Einwohner dieser Städte ihr Votum im früheren Heimatort abgeben. Dies könnte durchaus dazu führen, daß die muslimische Partei SDA in Orten wie Srebrenica, Prijedor, Foca oder Modrica mehr Stimmen erhält als die serbischen Parteien. Die von den Flüchtlingen gewählten Volksvertreter dürften allerdings kaum in der Lage sein, ihr Amt auch anzutreten.
In der Stadt Zvornik wurden Wahlplakate der SDS mit dem Bild von Radovan Karadžić erst entfernt, nachdem der Beauftragte für den Wiederaufbau, Carl Bildt, mit dem Ausschluß der SDS von den Wahlen gedroht hatte. In der nordbosnischen Stadt Teslic wurde der Chef des Schlachthofes entlassen, weil er der innerserbischen Opposition nahestand. Der Vorsitzende der bosnisch-serbischen Sozialisten, Rade Pavlović, trat zurück, um Blutvergießen zu vermeiden. Polizisten hatten seine Fabrik umstellt, und der Innenminister der Republika Srpska, Dragan Kijac, hatte unmißverständlich erklärt, daß die Regierung den Rücktritt von Pavlović auch gewaltsam durchsetzen werde. Im bosnisch- serbischen Fernsehen werden die Wähler davor gewarnt, gegen die regierende SDS zu stimmen, weil dies ein Votum gegen das serbische Volk sei. In den kroatisch beherrschten Gebieten Bosniens sind Kundgebungen von Oppositionellen verboten. Die regierende Kroatisch-Demokratische Union (HDZ) hat diese schlichtweg untersagt, weil sie die Einmütigkeit gefährdeten, die für das Überleben der Kroaten so wichtig sei.
In Tesanj, einer mehrheitlich muslimischen Stadt, wurde der Vertreter der oppositionellen Gemeinsamen Liste, einem Zusammenschluß kleinerer Oppositionsparteien, von der Polizei vorgeladen und verhört. Hakija Uzicanin wurde Veruntreuung vorgeworfen. Doch im Verhör drehte sich alles um die Frage, ob er möglicherweise auf Seiten der Kroaten stehe und ein Verräter der muslimischen Einheit sei. Der Bürgermeister von Tuzla Selim Beslagić, Vorsitzender der Union der Sozialdemokraten, berichtete Mitte August auf einer Pressekonferenz, daß die Wahlveranstaltung der Gemeinsamen Liste in den Städten Gradacac und Kalesija von SDA-Gefolgsleuten so sehr gestört wurden, daß sie hätten abgebrochen werden müssen. Der frühere Ex-Premier Bosniens, Haris Silajdžić, drohte gar damit, den Urnengang zu boykottieren, weil die Wahlen eine „nachträgliche Legitimierung des Völkermordes“ seien. Er selbst wurde bereits das Opfer von SDA-Schlägern. Seine „Partei für Bosnien und Herzegowina“ tritt für einen multi-ethnisches Bosnien ein.
In der Region um Bihać werden die Kandidaten des abtrünnigen Muslim-Führers Fikret Abdić, der mit einer eigenen Partei antritt, verfolgt. Laut UN-Angaben ereigneten sich dort in der letzten Woche acht Explosionen. Die Häuser von Oppositionskandidaten seien mit Handgranaten beworfen worden. Neun Polizisten und acht Anhänger der SDA stehen nach einem Schreiben der Oppositionsparteien unter Tatverdacht. Neben diesen Behinderungen stellte die UNO-Menschenrechtsbeauftragte Elisabeth Rehn auch fortgesetzte Vertreibungen fest. Aus den Dörfern um Teslic im serbisch beherrschten Nordbosnien wurden in den letzten Monaten rund 200 Muslime vertrieben.
In die kroatisch kontrollierte Stadt Jajce durften zu Jahresbeginn rund 200 Muslime zurückkehren. Doch dann wurde der kroatische Bürgermeister abgesetzt und weiteren Muslimen die Rückkehr verweigert.
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