Examiniert im Journalistenquälen

■ Redaktionsdurchsuchungen in Bremen bleiben vorerst ohne Folgen

Bremen (taz) – Bremer Redaktionen können sich auf weitere Besuche von Staatsanwaltschaft und Polizei gefaßt machen. Der Justizsenator will zwar keine „neue Linie“, hat sich aber damit abgefunden, daß die Staatsanwaltschaft derartige Aktionen startet, ohne ihn zu unterrichten. Und der verantwortliche Generalstaatsanwalt ist sich keiner Schuld bewußt. Nach den Durchsuchungen von vier Bremer Redaktionen, darunter der taz, sind gestern zum erstenmal der Bremer Bürgermeister und Justizsenator Henning Scherf und der zuständige Generalstaatsanwalt Hans Janknecht vor die Presse getreten. Scherf war nach den heftigen bundesweiten Reaktionen auf die Aktion sichtlich bemüht, zerbrochenes Porzellan zu kitten. Janknecht wirkte selbstverliebt bis zum Autismus. Er war nicht bereit, auch nur einen kritischen Gedanken zuzulassen.

Scherf: „Ich verstehe die Empörung und Sorge, und ich möchte mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen anarbeiten.“ Janknecht dagegen: „Sie müssen begreifen, daß es nicht nur auf die Pressefreiheit ankommt. Die Strafverfolgung ist gleichrangig.“ Er sei „befremdet über das Ausmaß der hemmungslosen Schelte“.

Unisono verurteilten alle Fraktionen der bremischen Bürgerschaft den Einsatz als „völlig unvertretbar“. Grüne und CDU forderten mindestens die Ablösung des Oberstaatsanwalts als Chef der Justizpressestelle. Die Grünen wollen außerdem die Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Justizsenator Scherf, Vorgesetzter von Janknecht, will zuerst die gerichtliche Überprüfung der Durchsuchungen abwarten. Radio Bremen und der Weser-Kurier haben bereits Beschwerde gegen die Aktion eingelegt.

Die Verantwortlichen in der Staatsanwaltschaft hatten sich offensichtlich sehr gründlich auf die Durchsuchungen vorbereitet. Jan Frischmuth, Chef der Staatsanwaltschaft, war am 8. August Prüfer für ein zweites Staatsexamen beim juristischen Prüfungsamt in Hamburg – ein gemeinsames Amt von Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Drei Prüflinge bekamen ihr Thema vom Bremer Staatsanwalt – er habe da gerade einen aktuellen Fall: Ein interner Bericht des Landesrechnungshofes über das Finanzgebaren eines Staatsrates wird illegalerweise an die Presse gespielt. Der Rechnungshofpräsident stellt Strafanzeige. Wer hat sich strafbar gemacht? Darf der Staatsanwalt bei den betroffenen Redaktionen durchsuchen? Wie würden Sie entscheiden?

Journalistenquälen im Planspiel, mitten in einer öffentlichen Prüfung: „Der hat uns exakt den Fall aufgegeben, der gerade passiert ist“, berichtet eine betroffene Jungjuristin. Alle drei Prüflinge seien zu dem für den Bremer Staatsanwalt befriedigenden Schluß gekommen, daß man unter Umständen bei den Medien durchsuchen und beschlagnahmen dürfe. Die Diskussion, ob die Aktion verhältnismäßig sei, „die hat er sofort abgewürgt“, so die Zeugin. Genauso wie die Debatte, ob denn die Ermittlungsbehörden nicht lieber bei den beiden Ressorts forschen sollten, die als Quelle der Indiskretion in Frage kämen. „Da hat der Frischmuth gesagt, das hätte doch sowieso keinen Sinn. Die in den Behörden halten doch sowieso alle dicht.“ Die drei Prüflinge haben bestanden. J.G.