Bioreaktoren statt Kerntechnik

40 Jahre KFA Jülich: Von der Atomforschung zum interdisziplinären Zentrum  ■ Von Wiebke Rögener

„Die Zukunft ist unsere Aufgabe.“ Unter diesem Slogan lädt das Forschungszentrum Jülich zu seinem 40jährigen Gründungsjubiläum am 1. September ein. Damals – 1956 –, da war Deutschland schon wieder wer, da durfte man endlich wieder mittun an der vordersten Front der Atomforschung. Gegründet wurde die „Gemeinsame Atomforschungsanlage des Landes Nordrhein-Westfalen“, später Kernforschungsanlage Jülich. Inzwischen ist die Atomenergie anrüchig geworden. Zwar ist das Kürzel KFA geblieben. Wer aber in der Kleinstadt am westlichen Rand der Republik nach dieser Großforschungseinrichtung sucht, findet nur noch Wegweiser zum nicht näher definierten „Forschungszentrum Jülich“. Denn so nennt sich die zu 90 Prozent vom Bund, zu 10 Prozent vom Land NRW getragene GmbH seit 1990. Ein Verwirrspiel mit Namen oder eine wirkliche Wende?

Klar ist: In Jülich gibt es viel mehr als nur Kernphysik. Das ehemals favorisierte Konzept des Hochtemperaturreaktors ist gescheitert – nicht zuletzt an der „mangelnden Akzeptanz“ in der Öffentlichkeit. Nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Professor Joachim Treusch ist der Anteil der Kernenergieforschung von 50 auf 10 Prozent gesunken. Die KFA bemüht sich um Diversifizierung. Da werden Solarzellen entwickelt, Untersuchungen zum Sommersmog angestellt, biotechnologische Prozesse durch neue Katalysatoren optimiert, Industrieabwässer zur Gewinnung von Biogas genutzt und vieles mehr.

Auch eine Klinik mit 24 Betten ist vorhanden. Etwa 8.000 Patienten werden hier im Jahr untersucht. Wo früher vor allem Studien zur Strahlenbiologie betrieben wurden, bildet neuerdings die Hirnforschung einen Schwerpunkt. Verschiedene Meßmethoden öffnen gleichsam unterschiedliche „Fenster zum Hirn“: So werden Patienten für ein Magnetenzephalogramm in eine von allen äußeren Magnetfeldern hermetisch abgeschirmte Kammer geschoben. Dort können dann die Magnetfelder der Hirnströme gemessen werden. Hochempfindliche Sensoren nehmen noch Felder wahr, die nur ein Millionstel des Erdmagnetfeldes betragen. In der Kernspinntomographie dagegen wird der Patient einem äußeren Magnetfeld ausgesetzt, das etwa 40.000mal stärker als das Feld der Erde ist. Gemessen wird die Resonanz eines Hochfrequenzimpulses, also einer Art Radiowelle, im Körper. Während das erste Verfahren, das in Jülich gerade erst etabliert wird, eine hohe zeitliche Auflösung beim Messen von Hirnaktivitäten ermöglicht, liegt der Vorteil des zweiten in der guten räumlichen Darstellung.

Für eine dritte Methode, die Positronen-Emissions-Tomographie, werden radioaktive Substanzen benötigt, und zwar solche, die nach der Untersuchung rasch wieder zerfallen. Neben dem Meßgerät ist daher auch ein Zyklotron vorhanden, das diese Isotope herstellt. Sauerstoff 15O etwa hat eine Halbwertszeit von nur zwei Minuten. In Kliniken, die nicht über ein solch extrem teures Gerät verfügen, können nur Untersuchungen mit langlebigeren Isotopen durchgeführt werden. Die radioaktiv markierten Moleküle, Zucker z. B., werden dem Patienten injiziert und ihr Verbleib im Körper gemessen. Sie reichern sich in Regionen mit besonders aktivem Stoffwechsel oder starker Durchblutung an. Die radioaktive Belastung entspricht, nach Angaben der Wissenschaftler etwa der natürlichen Strahlenbelastung eines Jahres.

Werden die Ergebnisse der drei Untersuchungsverfahren kombiniert, läßt sich manches über die Vorgänge im Gehirn in Erfahrung bringen. Zu den klinischen Anwendungen gehört zum Beispiel das Auffinden von Tumoren. Auch die Herde, von denen epileptische Anfälle ihren Ausgang nehmen, lassen sich aufspüren.

Die in Jülich vorhandenen technischen Möglichkeiten und das Know-how im Umgang mit radioaktiven Substanzen werden also inzwischen auch für ganz andere Zwecke genutzt, als die Gründerväter der Kernforschungsanlage es sich träumen ließen. Die Forschungsarbeiten zur Atomenergie sind zumindest aus den Materialien der KFA für die Öffentlichkeitsarbeit fast völlig verschwunden. Bei den sieben im Jahresbericht 1995 beispielhaft dargestellten wissenschaftlichen Projekten ist gerade noch ein kerntechnisches Thema dabei, das Fusionsexperiment TEXTOR. Und die Fusionsforschung, dieser letzte Hoffnungsträger der Atomindustrie, wird innerhalb der nächsten zehn Jahre nach Greifswald abwandern.

Noch allerdings ist in Jülich die Kernforschung stärker vertreten, als es die Selbstdarstellungen der KFA auf den ersten Blick vermuten lassen. Die Institute für Kerntechnik sind personell weit besser ausgestattet als andere Arbeitsbereiche: allen voran die Zentralabteilung „Forschungsreaktoren und Kerntechnische Betriebe“, die den Forschungsreaktor DIDO betreibt und über 250 Planstellen verfügt. Die Programmgruppe Technikfolgenforschung hat dagegen gerade mal 13 Mitarbeiter. Auch in der finanziellen Ausstattung macht sich das traditionelle Gewicht das Atomforschung bemerkbar. Die so ungleich dicke Ausstattung ist sicher auch manchen „Altlasten“ geschuldet: Vor zwanzig Jahren war es noch durchaus üblich, Wissenschaftler auf Dauerstellen zu beschäftigen. Heute ist dagegen wenige Jahre nach der Promotion das Ende des Zeitvertrages erreicht – ex und hopp. Hinzu kommen erhebliche Kürzungen im Stellenplan der KFA. Der kontinuierliche Aufbau neuer Arbeitsfelder wird so nicht gerade erleichtert.

Es mag daher noch ein Weilchen dauern, bis sich das häßliche Entlein „Kernforschungsanlage endgültig zum stolzen Schwan „interdisziplinäres Forschungszentrum“ gemausert hat.